Soziale Menschenrechte – von der zögerlichen Anerkennung bis zur extraterritorialen Geltung

Vor 20 Jahren bekräftigte die Abschlusserklärung der Weltkonferenz für Menschenrechte in Wien von 1993 nicht nur den universellen Geltungsanspruch der Menschenrechte, sie bekannte sich auch zur Unteilbarkeit und damit zur Zusammengehörigkeit und Interdependenz der verschiedenen Menschenrechte. In der Folgezeit gewannen die lange Zeit vernachlässigten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (wsk-Rechte oder kurz: soziale Menschenrechte) unverkennbar an Bedeutung. Die vorliegende tour d’horizon zeichnet den Bedeutungswandel kursorisch nach. 

Die missverständliche Rede von Menschenrechtsgenerationen 

In der Menschenrechtsliteratur und -bildung hat sich seit langem die Rede von unterschiedlichen „Generationen“ von Menschenrechten eingebürgert. Rechte der „ersten Generation“ bezeichnen demnach die „klassischen“ bürgerlich-politischen Freiheitsrechte, wie sie seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ausformuliert wurden. Darunter fallen heute etwa die Rechte auf Leben und persönliche Freiheit, das Folterverbot, justizbezogene Rechte (wie die Gleichheit vor dem Gesetz, die Unschuldsvermutung, faire Gerichtsverfahren etc.), die Rechte auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit, auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie auch auf Mitwirkung an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten und das Wahlrecht. Das Aufkommen der Rechte der „zweiten Generation“ wird hingegen häufig mit den „sozialen Teilhaberechten“ verbunden, die im Laufe der „sozialen Frage“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf nationaler Ebene entstanden. Sie umfassen heute u.a. die Rechte auf Arbeit, gerechte Arbeitsbedingungen, soziale Sicherheit, Gesundheit, angemessene Unterkunft, Nahrung, sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung sowie das Recht auf kulturelle Teilhabe. Als Rechte der „dritten Generation“ wiederum gelten kaum kodifizierte, stärker kollektive Rechte wie das Recht auf Entwicklung, die erst im Zuge der globalen Ausweitung der industriellen Kapitalisierung und nach der Dekolonialisierung weiter Teile der „Dritten Welt“ aufkamen. Die Rede von Menschenrechtsgenerationen ist jedoch in mehrfacher Hinsicht problematisch: 

Zunächst wird eine eindeutige zeitgeschichtliche Abfolge der Entstehung von Menschenrechten unterstellt, die es zu hinterfragen gilt. Zwar trifft es zu, dass die meisten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nicht in den einflussreichen Bürgerrechtsdokumenten des ausgehenden 18. Jahrhunderts vorzufinden sind. Doch kann beispielsweise das Eigentumsrecht, obwohl es als ein „klassisches Freiheitsrecht“ der ersten Stunde gilt und gemeinhin den bürgerlichen Rechten zugeordnet wird, inhaltlich betrachtet auch als ein wirtschaftliches Recht angesehen werden. Ebenso weist das früh etablierte Sklavereiverbot, das auf die internationale Anti-Sklaverei-Bewegung zurückgeht, enge Bezüge zum Recht auf – frei gewählte und angenommene – Arbeit auf. Letztlich handelt es sich bei Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit, die heute noch die Lebens- und Arbeitswirklichkeit Abermillionen Menschen prägen1, um schlimmste Formen der wirtschaftlichen Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft. 

Vor allem aber lässt sich die Abfolge unterschiedlicher „Generationen“ von Rechten allenfalls auf die Rechtsentwicklung auf der Ebene des Nationalstaates, nicht aber auf die völkerrechtliche Verankerung universeller Menschenrechte beziehen. Ungeachtet der mitunter universalistischen Wortwahl handelte es sich bei der verfassungsrechtlichen Kodifizierung sowohl der bürgerlich-politischen als auch später der wirtschaftlichen und sozialen Rechte zunächst nicht um Menschenrechte im engeren Sinne, die allen Menschen zustanden, sondern für gewöhnlich nur um Bürgerrechte, die an die nationale Zugehörigkeit gebunden waren.2 Dabei blieben von den Bürgerrechten wiederum lange Zeit ganze Bevölkerungsgruppen der jeweiligen Staaten ausgeschlossen, darunter indigene Völker, bestimmte ethnische Gruppen, mittellose Menschen sowie Frauen. 

Abgesehen von früheren Internationalisierungs- und Universalisierungsbemühungen (etwa von Arbeitsrechten im Rahmen der ILO) erfolgte eine umfassende, international anerkannte Normierung bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Menschenrechte mit universellem Geltungsanspruch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auf der Ebene der Vereinten Nationen wurden sowohl bürgerlich-politische als auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zeitgleich in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) von Dezember 1948 verankert und später in zwei getrennte Pakte überführt, namentlich in den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) von 1966 und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) von 1966, die beide 1976 in Kraft traten. Jüngere Kernabkommen des UN-Menschenrechtsschutzes wie die Konvention gegen die Diskriminierung der Frau oder die Kinderrechts- und die Behindertenrechtskonvention umfassen beiderlei Rechte. 

Schließlich geht mit der Rede von Menschenrechtsgenerationen oft eine problematische Gewichtung einher, wonach die „klassischen“ bürgerlich-politischen Rechte die eigentlichen, grundlegenden Menschenrechte darstellen würden und als solche Vorrang vor den wsk-Rechten genössen. Dieser Auffassung liegt die inzwischen überholte Vorstellung zugrunde, dass nur die bürgerlich-politischen Rechte grundlegende Abwehr- und Freiheitsrechte darstellen würden, die der Staat nur zu achten habe, während es sich bei den wsk-Rechten immer um ressourcenabhängige Leistungs- oder gar Luxusrechte handle, die stets umfassende Staatstätigkeiten verlangten. Die Dichotomie zwischen Abwehrrechten hier und Leistungsrechten dort prägte jahrzehntelang den Menschenrechtsdiskurs und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass die wsk-Rechte eher als politische Ziele denn als „echte“ Menschenrechte angesehen wurden – eine Sichtweise, die im Kontext des Ost-West-Konfliktes aus ideologischen Gründen noch verstärkt wurde. 

Dabei kamen ursprünglich die Impulse für die Aufnahme der wsk-Rechte in die AEMR keinesfalls nur oder vorwiegend aus den sozialistischen Staaten, wie landläufig angenommen wird, sind also mitnichten ein sozialistisches „Erbe“. Den VerfasserInnen der AEMR standen vielmehr (auch) bei den wsk-Rechten die schlimmen Erfahrungen der Nazi-Herrschaft vor Augen, etwa die systematischen Diskriminierungen, Zwangsmaßnahmen und Indoktrinierungen in den Bereichen der Arbeit, des Wohnens, der Gesundheit, der Bildung oder der kulturellen Teilhabe, unter denen Abermillionen Menschen gelitten hatten. Weiterhin hatte US-Präsident Franklin D. Roosevelt im Vorfeld der Gründung der Vereinten Nationen den wirtschaftlichen und sozialen Rechten ideellen Auftrieb verschafft, indem er 1941 die Freiheit von Not als eine der „Vier Freiheiten“ auswies, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Grundlage eine neuen Weltordnung dienen sollten (vgl. Borgwart 2009). Dieser Impuls wirkte nach, obwohl die Truman-Regierung (1945-1953) bei der Ausarbeitung der AEMR zusehends auf Distanz zu den wsk-Rechten ging. Wenig bekannt ist zudem, dass gerade die lateinamerikanischen Eingaben großen Einfluss auf die Einführung der wsk-Rechte in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ausübten (vgl. Morsink 1999). Die Staaten Lateinamerikas spielten bei der Einführung dieser Rechte in die AEMR sogar eine regelrechte Führungsrolle (Amos 2010: 147) und unternahmen einen Brückenschlag zwischen bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, die allesamt bereits in der „Amerikanischen Erklärung der Rechte und Pflichten der Menschen“ von Mai 1948 enthalten waren.

Allerdings setzten sich bei der Entscheidung für zwei völkerrechtlich verbindliche Pakte all jene Positionen durch, die von Wesensunterschieden der beiden „Arten“ von Menschenrechten ausgingen. Vor, bei und nach der Ausarbeitung des Zivilpaktes und des Sozialpaktes von 1966 bestimmten dann durchaus konträre Menschenrechtsauffassungen zwischen Ost und West die völkerrechtlichen und politischen Debatten in den Vereinten Nationen, wurden immer wieder grundlegende Unterschiede zwischen beiden „Arten“ von Rechten mit ideologischer Schärfe geltend gemacht. Kurz gefasst, forderte der Westen, allen voran die USA, die individuellen bürgerlich-politischen Freiheits- und Beteiligungsrechte gegenüber sozialistischen Staaten ein.3 Die Sowjetunion wiederum betrachtete die innerstaatliche Umsetzung von Menschenrechten als souveräne Angelegenheit der Staaten und verwahrte sich gegen jegliche Einmischung von außen. Während sie der eigenen (wie auch der fremden) Bevölkerung grundlegende bürgerlich-politische Rechte vorenthielt, machte sie sich aus ideologischen Gründen und zu Propagandazwecken für wirtschaftliche und soziale Rechte stark, ohne dass sich hieraus allerdings „subjektive“, einklagbare Rechtspositionen für einzelne Menschenrechte gegenüber dem eigenen Staat ergeben hätten. Individuelle Rechtsansprüche ließen sich auch in den sozialistischen Staaten aus den wsk-Rechten nicht ableiten; vielmehr oblag es dem Staat diese Rechte in Form sozialer Leistungen zu gewähren. Letztlich wurde so ein kollektives Menschenrechtsverständnis propagiert, das den individual- und abwehrrechtlichen Kern aller Menschenrechte verwässerte. 

Hinzu kam, dass dekolonisierte oder sich dekolonisierende Staaten in der „Dritten Welt“ zwar für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte eintraten, diese aber mit dem kollektiven Recht auf Selbstbestimmung, mit der Kritik an einer hochgradig ungerechten Weltwirtschaftsordnung sowie mit internationalen Forderungen nach Zugang zu wirtschaftlichen Entwicklungsressourcen verbanden. Die Rhetorik der Unteilbarkeit der Menschenrechte und die Betonung der wsk-Rechte – etwa auf der ersten Weltkonferenz für Menschenrechte 1968 in Teheran (vgl. Whelan 2010: 144 ff.) – war demzufolge eingewoben in das überwölbende Thema des Antikolonialismus und einer gerechten Weltordnung. In diesem Sinne war die Diskussion um die Menschenrechte nicht nur durch den Ost-West-Konflikt geprägt, sondern auch vom Nord-Süd-Konflikt beeinflusst. Dies alles hatte Folgen für die Interpretation der wsk-Rechte im Westen, die dort lange Zeit als individuell nicht einklagbare Kollektivrechte wahrgenommen wurden – eine heute überholte Sichtweise, die sich aber lange Zeit in Materialien der Menschenrechtsbildung hielt. Zugleich wurde die systematisch nicht überzeugende Dichotomie zwischen bürgerlich-politischen „Abwehrrechten“ einerseits und wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen „Leistungsrechten“ andererseits über Jahrzehnte hinweg politisch verfestigt. So führte der UN-Sozialpakt jahrzehntelang ein Schattendasein. 

Soziale Menschenrechte im Aufschwung 

Trotz der Verabschiedung (1966) und des Inkrafttretens (1976) des für die Vertragsstaaten völkerrechtlich verbindlichen UN-Sozialpaktes haben die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte erst seit den 1990er Jahren wirklich an Bedeutung gewonnen. Voraussetzung hierfür war das Ende des Ost-West-Konfliktes, der zwar nicht zu einer Entpolitisierung, wohl aber zu einer Endideologisierung der Menschenrechtsdebatte beitrug und politische Räume öffnete, um in internationalen und transnationalen Menschenrechtsforen die Diskussion um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wieder aufzugreifen und an soziale Problemlagen weltweit rückzubinden. Gemeinsam trug eine wachsende Zahl von BefürworterInnen der wsk-Rechte in den Institutionen des globalen und regionalen Menschenrechtsschutzes, an Universitäten und in Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen dazu bei, dass die wsk-Rechte auf die öffentliche Agenda gelangten und an Bedeutung gewannen. Sie bemühten sich, den normativen Bedeutungsgehalt dieser Rechte, die traditionell als vage und unbestimmt abgetan worden waren, zu konkretisieren und den wsk-Rechten ein klares juristisches Profil und eine stärkere völkerrechtliche Verbindlichkeit zu verleihen. 

Von zentraler Bedeutung waren und sind hierbei die Interpretationsvorgaben der entsprechenden UN-Vertragsausschüsse. Unterstützt und bestärkt durch ExpertInnen an Universitäten und in Menschenrechtsorganisationen4, trug vor allem der 1987 eingerichtete UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erheblich zur Konkretisierung des Inhalts der wsk-Rechte und der sich daraus ergebenden Staatenpflichten bei. Gerade die Allgemeinen Kommentare des Ausschusses stießen auf große Resonanz und erlangten beachtliche Autorität, sowohl auf zivilgesellschaftlicher als auch auf internationaler Ebene. Sie bestimmten nicht nur die Kommunikation zwischen dem Ausschuss und den jeweiligen Regierungen, sondern wurden auch von anderen UN-Gremien und UN-Sonderorganisationen aufgegriffen, die den sozialen Menschenrechten verstärkt Beachtung schenkten und sich dabei der Interpretationsvorgaben des UN-Ausschusses für wsk-Rechte bedienten. Weitere hilfreiche Impulse gingen von einzelnen UN-SonderberichterstatterInnen aus, die teils in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen ihr unabhängiges Mandat nutzten, um das Verständnis einzelner sozialer Menschenrechte zu befördern, etwa zu den Rechten auf Nahrung, auf Bildung, auf angemessene Unterkunft oder später zu den Rechten auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung. Zugleich belebten intensive, letztlich erfolgreiche internationale Verhandlungen und transnationale Kampagnen zur Einführung von Individualbeschwerdeverfahren für wsk-Rechte auf UN-Ebene die Debatte um die traditionell bestrittene Justiziabilität dieser Rechte. Zu beachten sind weiterhin die Rechtsauslegung und Spruchpraxis regionaler Menschenrechtskontrollorgane im Rahmen des europäischen, interamerikanischen und des afrikanischen Menschenrechtsschutz, sofern diese direkt oder mittelbar dem Schutz der wsk-Rechte betrafen.5 Ebenso wichtig waren die Aufnahme sozialer Grundrechte in eine Reihe jüngerer Verfassungen, etwa in einigen südamerikanischen Staaten oder in Südafrika, sowie die progressive Rechtssprechung nationaler Gerichte zum Schutz der wsk-Rechte in einzelnen Staaten (vgl. Gauri/Brinks 2008).

Gerade auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene wurden gravierende soziale Missstände zusehends unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten betrachtet und deren Überwindung menschenrechtlich eingefordert. Nachdem einige Organisationen – etwa die bereits 1976 gegründete Habitat International Coalitions (HRC), ein weltweites Bündnis von NGOs, sozialen Bewegungen und Fachleuten, die sich für das Recht auf Wohnen einsetzten, oder auch das 1986 entstandene FoodFirst Information Action Network (FIAN), das sich für das Recht auf Nahrung stark machte – sich schon sehr früh für (einzelne) soziale Menschenrechte eingesetzt und ihre Expertise in die Debatte eingebracht hatten, ist inzwischen eine Vielzahl an Menschenrechtsorganisationen weltweit hinzugekommen, die zu wsk-Rechten arbeiten. Selbst traditionelle Menschenrechtsorganisationen, die sich ursprünglich auf grundlegende bürgerlich-politische Rechte beschränkten, greifen seit etlichen Jahren Verletzungen der wsk-Rechte auf und rücken diese medienwirksam ins öffentliche Bewusstsein. Besonders hervorzuheben ist, dass sich – mandatiert seit 2003, faktisch erst später – auch Amnesty International einzelner wsk-Rechte annahm, deutlich sichtbar etwa in ihrer „Demand dignity campaign“. 

Als hilfreich erwies sich zudem, dass sich – nach beträchtlichen Anlaufschwierigkeiten – die Entwicklungszusammenarbeit als anschlussfähig für wsk-Rechte erwies und entwicklungspolitische Anliegen, tatkräftig unterstützt von internationalen Menschenrechtsorganen und transnationalen Menschenrechtsnetzwerken, zusehends in der Sprache der Menschenrechte vorgetragen wurden. Inzwischen ist die gezielte und ausdrückliche Förderung der wsk-Rechte fester Bestandteil der multilateralen wie bilateralen, staatlichen wie nicht-staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Zahlreiche Entwicklungsorganisationen vertreten mittlerweile einen menschenrechtsbasierten Ansatz oder setzen sich zumindest dafür ein, die wsk-Rechte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit stärker zur Geltung zu bringen.6 Entwicklungspolitischen Kampagnen zu den Rechten auf Nahrung, Wasser, Gesundheit, Wohnen oder Bildung sind weithin sichtbarer Ausdruck dieses Bestrebens. Der Perspektivenwechsel von einem bedürfnisorientierten zu einem rechtebasierten Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit verlieh den sozialen Menschenrechten erheblichen Auftrieb. Gerade im Hinblick auf Entwicklungsländer wurde zudem deutlich, wie wichtig es ist, die extraterritoriale Verpflichtungsebene in den Blick zu nehmen sowie die menschenrechtliche Verantwortung von internationalen Organisationen und transnationalen Unternehmen einzufordern. 

Allerdings sind die Widerstände gegenüber den wsk-Rechten noch lange nicht überwunden. Immer noch lassen sich Positionen finden, welche die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte als politische Zielgrößen ohne klare juristische Verbindlichkeit und ohne die Möglichkeit individueller gerichtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten betrachten. Mitunter wird auch die Gefahr einer „Inflationierung“ menschenrechtlicher Ansprüche und einer überbordenden Verrechtlichung der Politik gesehen, die mit einer Entwertung „klassischer“ Menschenrechte und der ungebührlichen Einschränkung der Entscheidungsspielräume (demokratisch legitimierter) politischer Entscheidungsträger einhergehe. Den Einwänden, die gelegentlich durch (allzu) weitreichende menschenrechtliche Forderungen aus der Zivilgesellschaft genährt werden (nicht alles was soziapolitisch sinnvoll und erwünscht ist, ist auch menschenrechtlich geboten), kann aber mittels einer angemessenen Konkretisierung und Auslegung der wsk-Rechte begegnet werden.7

Auf internationaler Ebene tun sich unter den Kritikern vor allem die USA hervor. „By the 1990s, the United States had become the chief opponent of economic and social rights on the international stage“ (Albisa 2009: 176). In der offiziellen Innen- und Außenpolitik der USA nehmen wirtschaftliche und soziale Rechte immer noch „a second-class, ‚outsider‘ status“  (Lewis 2009: 100) ein, werden, wenn auch immer zaghafter und teils heftig widersprochen von etlichen US-WissenschaftlerInnen, nicht als echte Menschenrechte erachtet (Riedel 2008: 78). So stellen Howard-Hassmann/Welch (2006: 13) enttäuscht fest, dass der einst visionäre Ansatz von Franklin D. Roosevelt nach über 60 Jahren kaum Einfluss auf die politische Kultur in den USA hat. 

Fortschritte bei der Interpretation der wsk-Rechte und staatlicher Pflichten 

Der Bedeutungsaufschwung der wsk-Rechte in den vergangenen beiden Jahrzehnten lag weniger in der Verankerung neuer Rechte begründet als in der „Wiederentdeckung“ und Re-Interpretation bereits bestehender Rechte. Durch ihre inhaltliche Konkretisierung und Weiterentwicklung, gerade auf UN-Ebene, hat sich das Verständnis dieser Rechte in mehrfacher Hinsicht verändert: Die Re-Interpretation betraf sowohl das Wesen und den materiellen Gehalt der bestehenden Normen als auch übergreifende Fragen, wer die Träger der wsk-Rechte sind und wen sie auf welche Weise verpflichten. Zugleich erfolgte der Nachweis der materiellen Justiziabilität dieser Rechte, das heißt ihrer prinzipiellen Eignung, von Beschwerdeausschüssen und Gerichten (quasi-)juristisch geprüft zu werden – selbst, wenn entsprechende Verfahren noch auszubauen sind (prozessuale Justiziabilität). 

Die traditionelle Vorstellung, dass sich wsk-Rechte ihrem Wesen nach grundlegend von jenem der bürgerlich-politischen Rechten unterscheiden, da sie keine Abwehr- und Freiheits-, sondern lediglich Leistungsrechte seien, wurde in den vergangenen Jahren zusehends in Frage gestellt und revidiert. Auch die wsk-Rechte sind an der Freiheit ausgerichtet, zielen auf die autonome Selbstverwirklichung der Menschen ab und wirken auf die Verwirklichung einer Gesellschaftsordnung hin, in der sich die einzelnen Menschen gemeinsam mit anderen selbstbestimmt frei entfalten können. Zum einen begründen die wsk-Rechte einen gesellschaftlichen Freiraum für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung der Menschen, den weder die Staaten noch Dritte ungebührlich einschränken dürfen. So dienen die wsk-Rechte beispielsweise dem Schutz der einzelnen Menschen, nicht ausgebeutet zu werden, sich vor menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen und Gesundheitsschäden zu schützen, sich selbstständig ernähren zu können, ein sicheres Wohnumfeld zu bewahren, sich angemessen zu bilden sowie nicht an der Ausübung der eigenen Kultur gehindert bzw. vom kulturellen Leben ausgeschlossen zu werden. Zum anderen müssen die rechtlichen, institutionellen, verfahrensmäßigen und materiellen Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Menschen tatsächlich autonom handeln und ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft mit anderen führen können. Dies schließt aktive Maßnahmen etwa gegen extreme Armut, Bildungsnotstände, Arbeitslosigkeit, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, Krankheiten, Wohnelend und soziale Ausgrenzung ein. 

Auch die wsk-Rechte gehen also mit „negativen“ und „positiven“ Freiheitsansprüchen einher, sind Freiheitsrechte im besten Sinne des Wortes. Zugleich sind die wsk-Rechte – wie alle anderen Menschenrechte – mit dem Anspruch verbunden, für alle Menschen gleichermaßen zu gelten und stellen als solche auch Gleichheitsrechte dar. Dabei geht es nicht darum, Unterschiede zwischen den Lebensweisen der Menschen gesellschaftlich zu nivellieren. Im Vordergrund steht vielmehr der Anspruch, „dass alle Menschen gleichermaßen die Möglichkeit erhalten, ihre je eigenen, „besonderen“ Lebensentwürfe – für sich und in Gemeinschaft mit anderen – in Freiheit zu finden und zu verwirklichen“ (Bielefeldt 2011: 123). Es entspricht dem Solidarcharakter der wsk-Rechte und anderer Menschenrechte, dass ihre Umsetzung dabei immer auch auf das soziale Miteinander, die Solidarität und den Schutz vor sozialer Ausgrenzung angewiesen ist. Umgekehrt hinterlassen die wsk-Rechte zwangsläufig ihre Spuren im Gemeinwesen: Indem die Menschen ihre Menschenrechte nutzen, jene ihrer Mitmenschen achten und der Staat die entsprechenden Freiräume respektiert, schützt oder schafft, verändert sich auch das Gemeinwesen, in dem die Menschen im Idealfall als sozial und politisch autonome Menschen im Verbund mit anderen leben und handeln. Kurzum: Alle Menschenrechte, auch die wsk-Rechte, sind als Freiheits-, Gleichheits- und Solidarrechte zu begreifen. Dadurch werden vermeintliche Wesensunterschiede und abstrakte Hierarchisierungen zwischen den Menschenrechten hinfällig. Zwar schließt die Unteilbarkeit der Menschenrechte nicht aus, dass je nach Kontext und Perspektive einzelnen Menschenrechtsaspekten empirisch unterschiedliche Bedeutung beigemessen werden kann, doch abstrakte Gewichtungen zwischen wichtigen und weniger wichtigen Menschenrechten sind hochproblematisch und können keinen Vorrang bürgerlich-politischer Rechte vor wsk-Rechten begründen (vgl. Krennerich 2010). 

Ebenso wenig konnten sich im Lauf der lebhaften Diskussion um die wsk-Rechte der vergangenen Jahre einige althergebrachte Vorbehalte gegenüber den wsk-Rechten halten, etwa die Behauptung, die wsk-Rechte seien im Unterschied zu bürgerlich-politischen Menschenrechten allzu vage und nicht hinreichend bestimmbar. Selbst wenn das juristische Profil dieser Rechte in künftigen Beschwerde- und Gerichtsverfahren noch zu schärfen ist, wurden die wsk-Rechte im beachtlichen Maß konkretisiert. Als hilfreich bei der Auslegung des materiellen Gehalts dieser Rechte erwiesen sich die Kategorien der Verfügbarkeit (availability), Zugänglichkeit (accessibility), Annehmbarkeit (acceptability) und Angepasstheit (adaptability), welche die ehemalige UN-Sonderberichterstatterin zum Recht auf Bildung, Katharina Tomaševski, populär gemacht hat.8 Das Recht auf Bildung umfasst demnach: die Verfügbarkeit grundlegender und weiterführender Bildungseinrichtungen; den diskriminierungsfreien sowie physisch wie wirtschaftlich offenen Zugang zu Bildungseinrichtungen und -programmen; kulturell wie qualitativ angemessene und menschenrechtskonforme Formen und Inhalte der Bildung; eine flexible bedürfnis-, praxis- und berufsorientierte Bildung, die sich den verändernden sozialen und kulturellen Lebens- und Arbeitszusammenhängen anpasst. Der UN-Ausschuss für wsk-Rechte wandte diese oder ähnliche Kategorien auf etliche andere wsk-Rechte an und konkretisierte diese in seinen Allgemeinen Kommentaren und Berichten. Ergänzt wurden die Interpretationsbemühungen des Ausschusses durch Berichte, Entscheidungen und Empfehlungen anderer internationaler und regionaler Menschenrechtsorgane sowie stellenweise durch die Spruchpraxis nationaler Gerichte. 

 Zugleich wurden auch die völkerrechtlichen Pflichten der Staaten bei der Umsetzung der wsk-Rechte konkretisiert. Große Bedeutung entwickelte die – ursprünglich an Henry Shue (1980) anknüpfende und von Asbjørn Eide9 geprägte – Pflichtentrias „Achten-Schützen-Gewährleisten“ (respect-protect-fulfil), die vom UN-Ausschuss für wsk-Rechte aufgegriffen, angewandt und weithin verbreitet wurde. Demnach sind die Staaten verpflichtet, die einzelnen Menschen nicht an der Ausübung seiner Rechte zu hindern (Achtungspflichten), den Einzelnen vor Eingriffen Dritter in seine Rechte zu schützen (Schutzpflichten) und die Ausübung der Menschenrechte durch aktives Handeln zu ermöglichen (Gewährleistungspflichten). Zu Menschenrechtsverletzungen kommt es also dann, wenn der Staat die Menschen bei der Ausübung ihrer jeweiligen Rechte unzulässig (be)hindert, oder aber, wenn er trotz entsprechender Möglichkeiten, offensichtlich nichts oder eindeutig zu wenig unternimmt, um die Menschenrechte zu schützen und zu gewährleisten.

Entgegen der überkommenen Sichtweise können solche Pflichten auch mit individuellen Abwehr-, Schutz- und Leistungsansprüchen einhergehen, die sich der Sache nach ggf. einklagen lassen. Am ehesten einer (quasi-)gerichtlichen Überprüfung zugänglich sind hierbei staatliche Eingriffe in die wsk-Rechte und Diskriminierungstatbestände. Dies kann etwa der Fall sein, wenn staatliche Autoritäten die Menschen willkürlich von ihrem Land aus ihren Unterkünften vertreiben oder ihnen den gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen verwehren, um nur zwei von vielen Beispiele(n) zu nennen. Aber auch staatliches Unterlassen kann eine Menschenrechtsverletzung darstellen, beispielsweise wenn der Staat wissentlich und trotz bestehender Eingriffsmöglichkeiten zulässt, dass Dritte die Menschen beispielsweise ausbeuten, vertreiben, diskriminieren oder anderweitig an der Ausübung ihrer Rechte hindern. 

Schwierig, aber nicht unmöglich gestaltet sich eine (quasi-)gerichtliche Überprüfung dort, wo der Staat umfassende Maßnahmen zu ergreifen hat, um Hunger, Bildungsnot, Wohnelend und andere soziale Missstände zu überwinden. Zum einen verfügen die Staaten über große politische Ermessens- und Gestaltungsspielräume, wie sie die Probleme angehen und bewältigen wollen. Zum anderen lassen sich viele soziale Missstände – zumal unter den Bedingungen von Ressourcenknappheit – nicht von heute auf morgen beheben. Allerdings darf Ressourcenknappheit nicht als Entschuldigung dienen, um untätig zu bleiben. Die Staaten sind dann zur progressiven Umsetzung der wsk-Rechte verpflichtet und müssen konkrete, zielgerichtete Maßnahmen ergreifen, um unter Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten so weit wie möglich Fortschritte bei der Umsetzung der wsk-Rechte zu erzielen. Vor allem aber gibt es stets Aspekte der wsk-Rechte, die sich unmittelbar umsetzen lassen, gerade im Bereich der Achtungs- und Schutzdimensionen. 

Die Pflichtentrias hat rechtsdogmatisch in vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Über den UN-Ausschuss für wsk-Rechte hinaus nehmen inzwischen auch weitere globale und regionale Menschenrechtsorgane, nationale Gerichte einzelner Länder sowie eine Vielzahl an MenschenrechtsexpertInnen an Universitäten und in NGOs auf die drei Verpflichtungsebenen Bezug, wenn sie wsk-Rechte behandeln. Bei der Interpretation der bürgerlich und politischen Rechte hat sich die Pflichtentrias indes noch nicht terminologisch durchgesetzt, obwohl entsprechende Rechtskommentare neben den mit abwehrrechtlichen Ansprüchen verbundenen Unterlassungspflichten immer wieder Schutz- und selbst Gewährleistungspflichten benennen. So groß ist die Umstellung aber gar nicht: Letztlich knüpfen die Verpflichtungen an die alt bekannte Unterscheidung „negativer“ und „positiver“ Handlungspflichten an. Neu ist allerdings, dass bezüglich der wsk-Rechte nicht nur Gewährleistungspflichten-, sondern gerade auch Unterlassungs- und Schutzpflichten benannt werden und, umgekehrt, bei bürgerlich-politischen Rechten über die Achtungspflichten hinaus verstärkt Schutz- und Gewährleistungspflichten geltend gemacht werden. 

So verdeutlicht die Verpflichtungstrias, dass soziale Menschenrechte – auch wenn sie ein größeres Gewicht auf die ressourcenabhängige Leistungskomponente legen als bürgerlich-politische Rechte – eben nicht nur kostspielige Leistungsrechte darstellen. Zugleich stellt sie die überkommene Sichtweise in Frage, der zufolge die Umsetzung bürgerlich-politischer Menschenrechte keiner staatlichen Leistungen und Ressourcen bedürfe. Selbstredend ist auch die Umsetzung diese Rechte nicht kostenfrei zu haben. Man denke hier beispielsweise an die nationalen Maßnahmen zur Prävention von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, wie sie das 2006 in Kraft getretene Fakultativprotokoll zur UN-Antifolterkonvention fordert. In vielen Entwicklungs- und Transformationsländern müssen die rechtsstaatlichen und politischen Institutionen (unabhängige Gerichte, Ombudsstellen, Wahlbehörden etc.) sogar erst mit viel Aufwand und erheblichen Ressourcen auf- und ausgebaut werden, bevor die Menschen ihre bürgerlich-politischen Rechte effektiv nutzen können. So gilt für bürgerlich-politische wie für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte: „They both impose negative and positive duties which sometimes require significant resources and sometimes do not, and which can sometimes be implemented immediately and sometimes not“ (Felner 2009: 407). 

Extraterritoriale Staatenpflichten und Verpflichtungen jenseits des Staates 

Die Diskussion um die wsk-Rechte führte in den vergangenen Jahren zudem in mehrfacher Hinsicht über die klassische Konstruktion des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes hinaus, wonach sich die Staaten in völkerrechtlichen Verträgen untereinander verpflichten, die Menschenrechte auf ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet umzusetzen. 

Angesichts der grenzübergreifenden Auswirkungen staatlichen Handelns wurde, erstens, die Frage aufgeworfen, ob die Regierungen und andere Staatsorgane die Menschenrechte nur „zu Hause“ achten, schützen und gewährleisten müssen, oder auch im Ausland. Inwieweit stehen also die Staaten als international handelnde Akteure menschenrechtlich in der Pflicht? Hier setzt die Diskussion um die „extraterritorialen Staatenpflichten“ an, die in dem Schwerpunktteil des vorliegenden Heftes aufgegriffen wurde. Dabei haben gerade BefürworterInnen der wsk-Rechte die Debatte um die extraterritorialen Staatenpflichten angestoßen, die inzwischen erheblich an Fahrt aufgenommen hat. Zwar hat nach wie vor jeder Staat die Hauptverantwortung für die Umsetzung der Menschenrechte im eigenen Land, doch kann er darin eben durch das bilaterale und multilaterale Handeln anderer Staaten erheblich behindert oder unterstützt werden. Gespannt darf man daher sein, welche Bedeutung die „Maastrichter Grundsätze zu den extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte“ entwickeln werden und ob sich die dort postulierte umfassende Anerkennung dieser Pflichten durchsetzen wird. Das ist alles andere als ausgemacht. Zwar wird zusehends anerkannt, dass Staaten in ihren bilateralen und multilateralen Beziehungen nicht selbst die Menschenrechte verletzen dürfen, darüber hinausgehende extraterritoriale Schutz- und Gewährleistungspflichten sind aber noch umstritten, und entsprechende Forderungen stoßen noch auf gewaltige politische und juristische Widerstände. 

Völkerrechtlich im Fluss und umstritten ist, zweitens, die menschenrechtliche Bindung internationaler und supranationaler Organisationen. Bindende Zwangsmaßnahmen des UN-Sicherheitsrates stehen hier ebenso auf dem Prüfstand wie etwa Handelsabkommen der Europäischen Union (vgl. Paasch 2011). Viel diskutiert und kritisiert werden auch die menschenrechtlichen Auswirkungen der Aktivitäten internationaler Finanzorganisationen wie der Weltbank (z.B. McBeth 2010) oder die Handels- und Patentregeln der Welthandelsorganisation (vgl. Hestermeyer 2007). So drängt sich die Frage auf, ob internationale Organisationen an die Menschenrechte gebunden, selbst wenn sie nicht Menschenrechtsabkommen beigetreten sind. Entsprechende Pflichten lassen sich entweder indirekt über die extraterritorialen Pflichten der beteiligten Staaten ableiten, die in den internationalen Organisationen vertreten sind, oder direkt, wenn soziale Menschenrechte bereits gewohnheitsrechtlich geschützt sind, was jeweils zu prüfen wäre. Zudem können organisationsinterne Richtlinien und Anordnungen – wie etwa den Safeguard Politics der Weltbank – durchaus dazu genutzt werden, den Schutz der Menschenrechte organisationsintern geltend zu machen. Eine gesicherte menschenrechtliche Verpflichtung internationaler Organisationen lässt sich aus diesen allerdings nicht ableiten (vgl. Kälin/Künzli 2008: 100). 

Viel diskutiert wurde in den vergangenen Jahren schließlich die Frage der menschenrechtlichen Verpflichtung nicht-staatlicher Akteure, allen voran transnationaler Unternehmen, welche nicht nur die Rechte auf Arbeit und gerechte Arbeitsbedingungen, sondern die gesamte Palette der Menschenrechte im Positiven wie im Negativen stark beeinflussen können.10 Auch transnationale Unternehmen unterliegen zwar prinzipiell der Regulierung durch jenen Staat, in dem sie ihre Geschäfte tätigen und haben sich eigentlich an nationale Gesetze und Bestimmungen zu halten, die menschenrechtswidrige Geschäftspraktiken verbieten oder sanktionieren sollten. Doch in vielen – gerade schwachen, korrupten oder auch nur um Standortvorteile wetteifernden – Staaten fehlen oder versagen entsprechende Gesetze, oder sie werden schlichtweg ignoriert und unterlaufen. Mitunter nutznießen die Unternehmen auch von staatlichen Menschenrechtsverletzungen. Die Diskussion über die wsk-Rechte hat die Debatte um die menschenrechtliche Verantwortung nicht-staatlicher Akteure erheblich belebt und Forderungen Auftrieb gegeben, transnationale Unternehmen nicht nur im Gastland, sondern auch im „Heimatstaat“ oder mittels internationaler Regulierung stärker menschenrechtlich in die Pflicht zu nehmen. Zugleich wurde die menschenrechtliche Selbstverpflichtung der Unternehmen eingefordert. 

Als Referenzrahmen für die Diskussion haben sich inzwischen die dreigliedrigen Leitprinzipien von John Ruggie, dem ehemaligen „UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte und transnationale und andere Unternehmen“ entwickelt, wonach die Staaten die Menschenrechte schützen (duty to protect), die Unternehmen die Menschen achten (corporate responsiblity to protect) und beide den Zugang der Betroffenen zu Rechtsmitteln und Wiedergutmachung sicherstellen sollen (access to remedy).11 Bislang dreht sich die Diskussion um die Leitprinzipien vor allem um die zweite Säule, also die freiwilligen Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen sollen, um ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht zu werden. Doch sehen die Leitprinzipien wohlgemerkt auch völkerrechtliche Verpflichtungen der Staaten vor, auf ihrem Hoheitsgebiet die Menschen vor Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen schützen und Maßnahmen zu ergreifen, um Betroffenen Zugangsmöglichkeiten zu gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsbehelfen zu gewähren. Ruggies Leitprinzipien enthalten aber keine staatliche Verpflichtung, unternehmerische Tätigkeiten im Ausland zu regulieren. Im Unterschied zu den Maastrichter Grundsätzen zu extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wsk-Rechte werden die extraterritorialen staatlichen Schutzpflichten von Ruggie ausdrücklich negiert. Hier bleibt abzuwarten, ob sich das Völkerrecht im Sinne der Maastrichter Grundsätze weiterentwickelt. Gegenwärtig ohne Realisierungschancen ist hingegen die direkte menschenrechtliche Bindung von Unternehmen im Völkerrecht, wie sie einst der Entwurf für „UN-Normen zur Verantwortung transnationaler und anderer Unternehmen in Bezug auf die Menschenrechte“ von 2003 vorsah.12 Zu groß sind hier die Widerstände von Unternehmen, Regierungen und internationalen Organisationen, einschließlich der Vereinten Nationen. 

Ausblick

Ungeachtet des unverkennbaren Bedeutungsgewinns der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte in den vergangenen beiden Jahrzehnten, sind die Vorbehalte und Unsicherheiten bei der Auslegung dieser Rechte noch nicht überwunden. Vor allem liegt die die Umsetzung der wsk-Rechte – wie auch anderer Menschenrechte – im Argen. Zwar haben sich die Voraussetzungen dafür verbessert, dass die Betroffenen und ihre Unterstützergruppen die wsk-Rechte einfordern können. Zwar setzen sich nationale wie transnationale Menschenrechtsbewegungen mit Protesten, Kampagnen sowie Lobby- und Advocacyarbeit weltweit für die wsk-Rechte ein. Zwar formulieren die unermüdlich wiederholten Erklärungen, die zahlreichen Berichte und Empfehlungen sowie die Unterstützungsleistungen internationaler Menschenrechtsgremien Verhaltenserwartungen und -standards hinsichtlich der Achtung und Umsetzung der wsk-Rechte, denen sich die Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft nicht einfach entziehen können. Mitunter mögen sich auch Lernprozesse einstellen, wie sich die wsk-Rechte besser verwirklichen lassen. Doch nach wie vor werden die wsk-Rechte weltweit massiv verletzt und mangelt es dem internationalen Menschenrechtsschutz an Durchsetzungskraft. Insgesamt unternehmen die Staaten und die Staatengemeinschaft viel zu wenig, um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte national wie global zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Die innerstaatliche Umsetzung der wsk-Rechte ist dabei nicht nur auf rechtsstaatliche sowie partizipative und demokratische Strukturen angewiesen, sondern auch auf ein Mindestmaß an Sozialstaatlichkeit. Ein entsprechendes Grundverständnis sozialer Staatsfunktionen – das beispielsweise in den USA wenig entwickelt ist – ist entscheidend dafür, ob und inwiefern selbst etablierte rechtsstaatliche Demokratien soziale Rechte anerkennen und umsetzen. Stark marktliberale Ordnungsvorstellungen weisen diesbezüglich offenkundige Schwächen und Leerstellen auf, denn der Markt allein kann soziale Menschenrechte nicht garantieren, sondern führt vielfach selbst zu sozialen Verwerfungen. 

Nicht minder wichtig ist die menschenrechtskonforme Ausgestaltung globalen politischen und wirtschaftlichen Handelns. Noch zielt das internationale Menschenrechtsregime vornehmlich darauf ab, die einzelnen Nationalstaaten dazu anzuhalten oder dabei zu unterstützen, die wsk-Rechte im eigenen Land umzusetzen. Hingegen regulieren die sozialen Menschenrechte bislang kaum die internationalen und transnationalen Beziehungen und haben sich in diesem Sinne nicht wirklich als „globale soziale Rechte“ (Fischer-Lescano/Möller 2012) etabliert. Ein umfassender Menschenrechtsansatz verlangt daher von den Staaten und der internationalen Staatengemeinschaft, eine globale Politik zu betreiben, die dazu beiträgt, dass die sozialen Menschenrechte auch im Rahmen wirtschaftlicher Globalisierungsprozesse zum Tragen kommen. Die gegenwärtigen Globalisierungsprozesse schaffen so viele „soziale Verlierer“, die dem wirtschaftlichen Globalisierungsdruck nicht gewachsen sind, dass der menschenrechtliche Handlungs- und Regulierungsbedarf gewaltig ist. Die Anerkennung und Umsetzung extraterritorialer Staatenpflichten im Bereich der wsk-Rechte und eine effektive menschenrechtliche Bindung internationaler Organisationen und transnationaler Unternehmen wären ein erster, wichtiger Schritt, um die gewaltigen sozialen Probleme anzugehen, die gerade mit wirtschaftlichen Globalisierungsprozessen einhergehen und von den einzelnen Nationalstaaten alleine nicht mehr bewältigt werden können. 

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1 Siehe etwa die entsprechenden Berichte der Internationalen Arbeitsorganisation (abrufbar unter: www.ilo.org) und der UN-Sonderberichterstatterin für gegenwärtige Formen der Sklaverei (abrufbar unter: www2.ohchr.org).

2 Der Begriff der „Bürgerrechte“ wird unterschiedlich verwandt. In dem vorliegenden Text sind darunter solche Grundrechte in nationalen Verfassungen gemeint, die lediglich den jeweiligen Staatsbürgern garantiert sind.

3 Pikanterweise diskriminierten die USA als westliche Führungsmacht bis in die 1960er hinein offen Afroamerikaner im eigenen Land und unterstützten während des Ost-West-Konfliktes verbündete anti-kommunistische Diktaturen in der „Dritten Welt“, welche die bürgerlich-politischen – wie auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen – Menschenrechte massiv verletzten.

4 Besonders hervorzuheben sind zwei internationale Fachkonferenzen, die von der Universität Maastricht und der Internationalen Juristenkommission 1987 und 1997 gemeinsam durchgeführt wurden. Aus ihnen gingen die Limburg-Prinzipien zur Natur der Staatenpflichten (1987) und die Maastricht-Leitlinien zur Verletzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten (1997) hervor. An die Tradition knüpfte auch die Erarbeitung der Maastrichter Grundsätze zu extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wsk-Rechte (2011) an.

5 Vgl. etwa Koch (2009); De Schutter (2009); Fáundez Ledesma (2005); Suárez Franco (2010); Nolan (2009); Murray (2009).

6 Vgl. etwa Selchow/Hutter (2004); Krennerich (2008); Kämpf/Würth (2010).

7 Der Autor hat sich bemüht, den materiellen Gehalt der einzelnen wsk-Rechte anhand der Kommentare, Berichte, Entscheidungen und Empfehlungen von Menschenrechtskontrollorganen sowie einer Vielzahl weiterer Quellen darzustellen und mithilfe von Beispielen zu verdeutlichen; vgl. Krennerich (2013).

8 Siehe etwa UN Doc. E/CN.4/1999/49, 13. Januar 1999; E/CN.4/2000/6, 1. Februar 2000; E/CN.4/2001/52, 11. Januar 2001; E/CN.4/2002/60, 7. Januar 2002.

9 Vgl. UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1984/22, 3. Juli 1984; E/CN.4/Sub.2/1999/12, 28. Juni 1999.

10 Dokumentiert werden entsprechende Menschenrechtsverletzungen etwa auf der Website des Business & Human Rights Resource Centre (www.business-human-rights.org). Siehe z.B. auch Human Rights Watch (2008); Saage-Maaß (2009); Burghart/Hamm/Scheper (2010).

11 Vgl. UN Doc. A/HRC/17/31, 21. März 2011; A/HRC/RES/17/4, 6. Juli 2011.

12 UN Doc. E/CN.4/Sub.2/2003/12/Rev.2.

 



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Der Autor

Michael Krennerich  ist Vorsitzender des Nürnberger Menschenrechtszentrums und Privatdozent am Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik der Universität Erlangen-Nürnberg.