Belarus – 20 Jahre Herrschaft Lukaschenkos (Beitrag aus zfmr 2/2013)

Die nachfolgende Tour d‘ horizon führt uns nach Belarus. In einem Schwerpunktheft, das sich mit der theoretischen Kritik an den Menschenrechten auseinandersetzt, bildet der Blick auf die menschenrechtliche Praxis in und gegenüber einem autoritär regierten Staat Europas, in dem die Menschenrechte systematisch verletzt werden, einen Kontrapunkt. Der Fall Belarus verdeutlicht, welch große Bedeutung den Menschenrechten vor dem Hintergrund konkreter Unrechtserfahrungen zukommen kann, und zeigt zugleich die Grenzen der Menschenrechtspolitik auf.


Die Menschenrechte in Belarus

2014 herrscht Alexander Lukaschenko bereits seit 20 Jahren in Belarus. Der autoritär regierte Staat ist das einzige europäische Land, das nicht Mitglied des Europarates ist und somit auch nicht die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) oder andere europäische Menschenrechtsabkommen ratifiziert hat. Wie viele andere (auch autoritäre) Staaten weltweit hat Belarus jedoch immerhin zahlreiche UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert, namentlich den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) sowie den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt), ebenso die UN-Antirassismus-Konvention, die UN-Antifolterkonvention, die UN-Konvention für die Beseitigung jeglicher Diskriminierung der Frau sowie die UN-Kinderrechtskonvention samt der ersten beiden Zusatzprotokolle.

Die Verfassung des Landes erkennt zwar „die Priorität der allgemeingültigen Grundsätze des Völkerrechts an und gewährleistet die Übereinstimmung der Gesetzgebung mit diesen Grundsätzen“. Auch enthält sie einen vergleichsweise umfassenden Katalog an Grundrechten. Doch werden gerade die bürgerlich-politischen Rechte regelmäßig ausgehebelt und missachtet. Entgegen der Selbstdarstellung der belarussischen Regierung enthalten verschiedene Gesetze und Rechtsvorschriften – etwa das Strafrecht, das Gesetz über Massenveranstaltungen oder die Registrierungsvorschriften für nichtstaatliche Organisationen (NGOs) – menschenrechtswidrige Bestimmungen und/oder werden, wie etwa die Steuergesetze, genutzt, um regimekritische Personen und Organisationen zu verfolgen. Willfähriger Helfer der Politik ist hierbei eine abhängige Justiz.

Menschenrechtsverletzungen sind in Belarus an der Tagesordnung. Im Mittelpunkt der Kritik seitens nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen und -institutionen stehen – neben der noch immer angewandten Todesstrafe – nicht-demokratische Wahlen und damit verbundene Menschenrechtsverletzungen sowie systematische Einschränkungen insbesondere der Versammlungs-, der Vereinigungs- und der Meinungsfreiheit, weiterhin: administrative Schikanen, willkürliche (Kurzzeit-)Inhaftierungen, unfaire Gerichtsverfahren einer vom Regime kontrollierten Justiz, daraus resultierende Strafurteile gegen Regimegegner sowie menschenrechtswidrige Behandlungen in Haft. Betroffen hiervon sind nicht zuletzt politische Oppositionelle, regimekritische NGOs, Menschenrechtsverteidiger/innen sowie unabhängige Journalist/innen und Anwälte. Menschenrechtsverteidiger/innen bezahlen für ihr Engagement einen hohen persönlichen Preis.


Todesstrafe – nach wie vor verhängt

Belarus hat die Todesstrafe nicht abgeschafft; das dortige Regime wendet diese – ungeachtet aller internationalen Proteste – als einziger Staat Europas noch an. Die Hinrichtungen erfolgen für gewöhnlich geheim, und die Angehörigen werden mitunter erst Wochen oder Monate nach der Exekution informiert. Seit 1991 sollen in Belarus rund 400 Personen hingerichtet worden sein. Erst im November 2013 wurde wieder ein Todesurteil verhängt, was nach Bekanntwerden im Dezember umgehend auf internationale Kritik stieß. Zur Rechtfertigung der Todesstrafe verweist das Regime zum einen auf die Tatsache, dass Belarus kein Menschenrechtsabkommen ratifiziert hat, das die Todesstrafe verbietet, zum anderen auf den Umstand, dass die Bevölkerung in dem Referendum von 1996 für die Beibehaltung der Todesstrafe gestimmt hat. Im Oktober 2013 präsentierte das Belarusian Helsinki Committee eine Meinungsumfrage zur Todesstrafe unter 1100 Befragten aus allen Teilen des Landes. Demnach waren 36 Prozent der Befragten eindeutig und 27 Prozent unter bestimmten Voraussetzungen für die Todesstrafe. Knapp ein Drittel der Befragten sprach sich eindeutig dagegen aus. Die Oberhäupter der katholischen und der orthodoxen Kirche in Belarus stehen der Todesstrafe mehrheitlich kritisch gegenüber und haben sich verschiedentlich für Begnadigungen eingesetzt.


Wahlen unter autoritären Bedingungen – die Macht steht nicht zur Disposition

Das allgemeine Wahlrecht ist ein Menschenrecht, und die Durchführung von Wahlen in Belarus wird gerade im Westen aufmerksam verfolgt. Seit den 1990er Jahren fanden in Belarus vier Präsidentschaftswahlen statt, und zwar in den Jahren 1994, 2001, 2006 und 2010, bei denen Alexander Lukaschenko mit großer Mehrheit gewählt wurde. Hinzu kamen auf nationaler Ebene fünf weit weniger wichtige Parlamentswahlen (1995, 2000, 2004, 2008, 2012). Die Wahlen – zumindest ab 1995 – entsprachen allesamt nicht demokratischen Standards. Grundprobleme waren dabei nicht nur Betrug und Manipulation am Wahltag, sondern auch der Umstand, dass angesichts des autoritären Kontextes, angesichts der eindeutigen Bevorteilung Lukaschenkos und seiner Kandidaten sowie angesichts der Einschränkung demokratischer Rechte der Opposition die Wahlen schon im Vorfeld des Wahltages nicht hinreichend frei und fair waren. Lukaschenkos Machtstellung als gewählter Präsident steht bei den Wahlen de facto nicht zur Disposition, und seit 2004 sitzt kein politischer Oppositioneller mehr im nationalen Parlament. Äußerst problematisch gestalteten sich auch die umstrittene Volksabstimmung von 1996 über eine Verfassungsreform, die nicht nur ein Zweikammern-Parlament schuf, sondern auch dem Präsidenten weitreichende Kompetenzen verlieh und seine Amtszeit bis 2001 verlängerte, sowie das Referendum von 2004, das das Wiederwahlverbot des Präsidenten nach zwei Amtszeiten aufhob.

Um seine Macht abzusichern und die politische Opposition kleinzuhalten, scheute das autoritäre Regime Lukaschenkos bislang nicht vor massiven Menschenrechtsverletzungen gerade im Kontext der Präsidentschaftswahlen zurück. In den Jahren 1999 und 2000 „verschwanden“ vier prominente Kritiker des Diktators spurlos. Bei den Präsidentschaftswahlen von 2006 listete die Wahlbeobachtermission der OSCE/ODIHR rund 400 wahlkampfbezogene Vorfälle auf, bei denen Wahlkämpfer der Opposition verfolgt, bestraft oder inhaftiert wurden. Im Zuge der Auflösung der Proteste nach den Wahlen wurden hunderte Menschen verhaftet und teils verurteilt. Noch brutaler war die gewaltsame Zerschlagung der Massenproteste nach den Präsidentschaftswahlen von 2010. Erneut wurden hunderte Menschen verhaftet, darunter die Präsidentschaftskandidaten der Opposition, die mitunter misshandelt und zu Haftstrafen verurteilt wurden. Der Präsidentschaftskandidat Mikalei Statkevich, dessen Strafe die UN Working Group on Arbitrary Detention als willkürlich und menschenrechtswidrig einstufte, saß Ende des Jahres 2013 als letzter von ihnen noch in Haft. Im Juli 2013 durfte er erstmals seit Dezember 2011 von seiner Ehefrau besucht werden.


Versammlungsfreiheit – ab zwei Oppositionellen wird es kritisch

Die Versammlungsfreiheit wird durch das „Gesetz über Massenveranstaltungen“ eingeschränkt, das spontane regimekritische Versammlungen und Demonstrationen unterbinden soll. Es fordert eine behördliche Erlaubnis für alle Aktionen und „Nicht-Aktionen“, die als öffentliche Äußerung gesellschaftspolitischer Meinungen oder gar als Protest intendiert sind. Dass auch „Nicht-Aktionen“ darunterfallen, ist als Antwort auf eine Welle „stiller Proteste“ im Jahre 2011 zu verstehen. Die Veranstalter jeglicher öffentlichen Veranstaltung haben zudem ihre finanziellen Quellen offenzulegen und dürfen die Veranstaltung nicht bewerben, bis sie eine offizielle Erlaubnis erhalten, die, wenn überhaupt, oft sehr spät erteilt wird. Regelmäßig verbieten oder unterbinden die belarussischen Behörden regimekritische oder nichtkonforme Veranstaltungen – und rechtfertigen die Eingriffe mit dem Ziel, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten. Dabei kommt es immer wieder zu Festnahmen und Verurteilungen regimekritischer Personen und zivilgesellschaftlicher Gruppen, etwa wegen vermeintlichen „Hooliganisms“. Welche weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten das Gesetz über Massenveranstaltungen bietet, zeigt der Umstand, dass es bereits bei einer „Versammlung“ von mehr als einer Person auf einem öffentlichen Platz zur Anwendung kommen kann. Jegliche noch so kleine ungenehmigte Versammlung von Regimegegnern geht daher mit der Gefahr von finanziellen Strafen oder gar Haftstrafen einher.


Vereinigungsfreiheit – Registrierungsvorschriften als Repressionsinstrument

Um die Vereinigungsfreiheit steht es nicht minder schlecht. Aktivitäten von nicht-registrierten NGOs können per Gesetz strafrechtlich verfolgt und mit Haftstrafen geahndet werden. Die Registrierung und die notwendige Re-Registrierung von NGOs erweisen sich indes als schwierig und dienen der Regierung als Hebel, um unliebsamen Organisationen die Rechts- und Organisationsgrundlage zu entziehen. Die rigiden Registrierungsauflagen rechtfertigt das Regime – etwa im Rahmen des „Allgemeinen Überprüfungsverfahrens“ des Menschenrechtsrates im Jahre 2010 – damit, dass Belarus dadurch eines der wenigen Länder der Welt sei, in denen es keine extremistischen, fremdenfeindlichen oder zu religiösem und rassistischem Hass aufstachelnden Organisationen gäbe. Zugleich verwies das Regime auf die damalige Zahl von 2200 registrierten NGOs. Betroffen von administrativen Hürden und Repressalien sind jedoch nicht zuletzt Menschenrechtsorganisationen.

Die bekannte Menschenrechtsorganisation Human Rights Centre „Viasna“ (Frühling) beispielsweise steht seit ihrer Gründung im Fadenkreuz des Regimes. Entstanden im Rahmen der Massenproteste des Jahres 1996 erhielt sie 1997 als Minsk Human Rights Centre „Viasna-96“ eine offizielle Registrierung, die sie bereits 1998 wieder einbüßte. 1999 registrierte sie sich als Human Rights Centre „Viasna“ erneut, sah sich in den Folgejahren wiederholt mit staatlichen Warnungen und Repressalien konfrontiert und bekam im Jahre 2003 wieder ihren Status als registrierte Organisation entzogen. Als solche ist sie in ihren Handlungsmöglichkeiten massiv beschnitten. Ihr Vorsitzender, Ales Bialiatski, der schon mehrfach kurzzeitig inhaftiert worden war, wurde 2011 zu einer viereinhalbjährigen Haftstrafe und zum Verlust seines Eigentums verurteilt. Die Verurteilung wurde von der UN Working Group on Arbitrary Detention kritisiert. Im Gefängnis sitzend erhielt Bialiatski, der zugleich Vizepräsident der International Federation of Human Rights (FIDH) ist, im Jahre 2013 den Vaclav-Havel-Preis des Europarates. Aber auch die anderen rund 200 Mitglieder der Organisation waren und sind – Angaben von Viasna zufolge – Repressalien ausgesetzt: „All members of this orginization were subject to detention, beatings, raid, arrests and fines.”

Das 1995 gegründete Belarusian Helsinki Committee verfügte 2013 zwar als einzige Menschenrechtsorganisation noch über eine landesweite Registrierung, sieht sich aber seit 2004 mit Steuer- und Strafzahlungen für Gelder konfrontiert, die sie in den Jahren 2002 und 2003 – eigentlich steuerfrei – von der Europäischen Kommission erhalten hat. Inzwischen durchlief die Organisation vergeblich alle rechtlichen Instanzen, um die Forderungen zurückzuweisen; zugleich ist es ihr untersagt, ausländische Hilfen anzunehmen, um diese zu begleichen. Über der Organisation schwebt nun gewissermaßen das Damoklesschwert und entsprechende Warnungen wurden mehrfach an das belarussische Helsinki-Komitee gerichtet. „(N)ow we are fully dependent on the mood and wishes of the authorities“, erklärte dessen Vorsitzender, Aleh Hulak, 2013 gegenüber Human Rights Watch. „If they wish, they can close our organization down, or seize any property that we may obtain in the future.“ Regelmäßig durchsuchen Steuerfahnder die Büros des Komitees nach beschlagnahmefähigem Material.

Besonders prekär ist auch die Lage von Organisationen, die für Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und Intersexuellen (LGBTI) eintreten. Homosexualität wurde in Belarus erst 1994 entkriminalisiert, und Homosexuelle werden bis heute diffamiert und verfolgt. Hierzu tragen sowohl die strikte Ablehnung durch die orthodoxe Kirche als auch die abfälligen öffentlichen Statements von Präsident Lukaschenko bei – etwa jenes vom 4. März 2012, wonach es besser sei, ein Diktator zu sein als homosexuell (gerichtet an die Adresse des damaligen deutschen Außenministers Guido Westerwelle). So verwundert es nicht sonderlich, dass allen LGBTI-Organisationen bisher die Registrierung verwehrt wurde.


Meinungs- und Pressefreiheit – Kontrolle und Zensur

Ebenso ist die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt. Während die politische Führung auf das Massenmediengesetz von 2009 und die große Zahl registrierter nicht-staatlicher Printmedien verweist, erachtet die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ die Lage in Belarus seit Jahren als besorgniserregend und zählt Präsident Lukaschenko zu den „Feinden der Pressefreiheit“ und das Land zu den „Feinden des Internet“.

Die Belurasian Association of Journalists, die 2004 den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments erhielt und deren Vorsitzende, Zhanna Livini, 2008 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung verliehen bekam, dokumentiert in ihrem Jahresbericht die vielfältigen Verletzungen der Meinungs- und Pressefreiheit in dem Land: Sie reichen von weithin praktizierten Warnungen seitens des KGB und der Strafverfolgungsbehörden über Verbote von Auslandsreisen und der Konfiszierung journalistischen Materials bis hin zu körperlichen Attacken, Entlassungen, Kurzzeitinhaftierungen und Strafverfahren gegen Journalisten, beispielsweise wegen Diffamierungen staatlicher Funktionsträger. Um die „Reputation der Republik“ zu schützen, ist es zudem unter Strafe gestellt, internationalen Organisationen „falsche Informationen“ über die Lage im Land weiterzugeben. Hinzu kommen Behinderungen ausländischer Journalisten in Belarus.


Haftbedingungen

Die Haftbedingungen in Belarus stoßen auf Kritik sowohl seitens nichtstaatlicher Menschenrechtsorganisationen als auch seitens von UN-Menschenrechtsorganen. So zeigte sich der UN-Antifolterausschuss ernsthaft besorgt über die zahlreichen Berichte, denen zufolge verurteilte Gefangene sowie Personen in Gewahrsam der Sicherheitskräfte bzw. in Untersuchungshaft grundlegende Rechte verwehrt bleiben, etwa der Zugang zu einem Anwalt oder zu einem Arzt sowie der Kontakt zu Familienangehörigen. Besonders schwerwiegend sind ferner die zahlreichen und konsistenten Anschuldigungen, dass staatliche Strafverfolgungsbehörden vor allem während der „pretrial detention“ in großem Maßstab Personen bedrohten, inhuman behandelten und folterten.

Unter den Haftbedingungen leiden gerade auch politische Gefangenen wie der bereits genannte Ales Bialiatski oder auch Zmitser Dashkevich, der Anführer der Jugendoppositionsbewegung Malady Front, der im Rahmen der Proteste nach den Wahlen 2010 festgenommen wurde und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist. Wegen schwerer Misshandlungen von Dashkevich richtete die belarussische Menschenrechtsgruppe Platform im September 2012 eine Beschwerde an den UN-Sonderberichterstatter für Folter. Politische Gefangene, die aus den Strafanstalten entlassen wurden, sind bislang nicht rehabilitiert worden und unterliegen weiterhin einer präventiven Überwachung.


Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte

Verletzungen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (wsk-Rechte) in Belarus erlangen weit weniger internationale Aufmerksamkeit, zumal Belarus hinsichtlich des allgemeinen Zugangs zu Bildung und Sozialleistungen im internationalen Vergleich gut abschneidet – und z. B. im Rahmen des „Allgemeinen Überprüfungsverfahrens“ des Menschenrechtsrates dafür 2010 auch gelobt wurde. Trotz etlicher Fortschritte und Gegenmaßnahmen bemängelte der UN-Ausschuss für wsk-Rechte in seinen „Abschließenden Bemerkungen“ von Dezember 2013 jedoch u. a.: unzureichende Antidiskriminierungsgesetze und -maßnahmen, eine hohe Arbeitslosigkeit von Jugendlichen und von Menschen mit Behinderungen, die fehlende Gleichstellung der Frau, die Stigmatisierung von Personen mit HIV/AIDS, die geringe Einschulung von Roma-Kindern, unzureichende Maßnahmen, um Menschenhandel zu unterbinden, Lücken in der Abdeckung der sozialen Sicherungssysteme, Einschränkungen der Gewerkschaftsfreiheit und des Streikrechts. Darüber hinaus kritisierte der Ausschuss, anlehnend an einen Bericht von FIDH/Viasna, verschiedene Formen der Zwangsarbeit.


Menschenrechtsengagement in und gegenüber Belarus

Trotz widriger Bedingungen treten bemerkenswerterweise einige registrierte wie auch nicht registrierte zivilgesellschaftliche Organisationen aus Belarus mehr oder minder offen für Menschenrechte ein. Beispielhaft seien die zwei bereits erwähnten Organisationen genannt: Viasna, das in verschiedenen internationalen Netzwerken mitwirkt, u. a. der International Federation of Human Rights (FIDH) und des European Network on Election Monitoring Organizations (ENEMO), sowie das Belarusian Helsinki Committee, das in 12 Städten des Landes vertreten und aktives Mitglied der internationalen Helsinki-Bewegung ist. Zu erwähnen wäre weiterhin etwa der Legal Transformation Center, der ebenfalls den Austausch mit Menschenrechtsgruppen im Ausland pflegt und mit dem „Lawtrend Monitor“ einen belarussischen Menschenrechtsrundbrief ins Internet stellt (www.lawtrend.org). Diese und andere belarussische NGOs beobachten die Menschenrechtslage im Land, erstellen und verbreiten Informationen, führen Bildungs- und Trainingsprogramme durch und/oder erarbeiten Reformvorschläge. Im Rahmen der Kampagne „Human Rights Defenders for Free Elections“ beteiligen sie sich mitunter aktiv an der nationalen Wahlbeobachtung.

Viasna, das Belarusian Helsinki Committee und der Legal Transformation Center waren auch maßgeblich an der Organisation des – nach 2004 und 2010 – dritten belarussischen Menschenrechtsforums im Oktober 2013 im litauischen Vilnius beteiligt, an dem laut den Veranstaltern rund 150 Personen von etwa 25 nationalen und lokalen Organisationen teilnahmen, und zwar nicht ohne Risiko. Dutzende Teilnehmer/innen wurden vom belarussischen KGB offenbar per Video aufgenommen, als sie sich mit der Bahn nach Vilnius aufmachten. Auch kam es in den vergangenen Jahren immer wieder vor, dass prominente Menschenrechtsaktivist/innen daran gehindert wurden, dass Land zu verlassen. Seit Juli 2012 ist der KGB offiziell ermächtigt, allen Bürger/innen, die ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, ohne gerichtliche Entscheidung die Ausreise zu verweigern. Der erste hiervon Betroffene war am 19. Juli 2012 – laut dem Belarus-Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates – der Menschenrechtsverteidiger Andrei Bondarenko, Vorsitzender der nichtstaatlichen Organisation Platform.

Trotz aller Mühen: Angemessene Verbreitung findet die massiv behinderte Menschenrechtsarbeit zivilgesellschaftlicher Gruppen innerhalb von Belarus nicht. Ohne hinreichende organisatorische Ausstattung, Handlungsfreiheiten und Massenkommunikationsmittel ist insgesamt die Wirkkraft nationaler Menschenrechtsorganisationen innerhalb des Landes beschränkt. Zu stark wird deren Handlungsradius durch das Regime beschnitten. Zu deutlich wird die öffentliche Meinung von den staatlich kontrollierten Medien geprägt. Und zu annehmbar lässt es sich für große Teile der Bevölkerung bei regimekonformen Verhalten und politischem Desinteresse in Belarus leben. Die Mehrheit der dortigen Bevölkerung erweist sich als auffällig duldsam und scheint sich mit den herrschenden Verhältnissen in dem Land abzufinden oder diese sogar zu akzeptieren, meint die Länderexpertin Astrid Sahm. Selbst in der alternativen belarussischen Kulturszene habe sich inzwischen vielerorts, so der freie Journalist Ingo Petz, eine von Pragmatismus und Eskapismus geprägte Überlebensstrategie breitgemacht. Zu effektiv schlug das Regime Lukaschenkos bisherige Protestbewegungen, wie zuletzt nach den Präsidentschaftswahlen von 2010, nieder. Der Umsturz in der Ukraine wird Lukaschenko in seinem Kurs bestärken, jegliches Aufbegehren der Zivilgesellschaft auch weiterhin gleich im Ansatz repressiv zu unterbinden.

Den Restriktionen im eigenen Land steht freilich – selbst eingedenk von Ausreisebeschränkungen – ein weites und offenes Feld transnationaler Menschenrechtswirkens gegenüber. Auf nichtstaatlicher Ebene kooperieren viele internationale Menschenrechtsorganisationen und -netzwerke mit den Menschenrechtsverteidiger/innen in Belarus und kritisieren weithin vernehmbar die dortigen Missstände. Dazu zählen beispielsweise FIDH, Human Rights Watch, Amnesty International, das Human Rights House Network oder auch das Committee on International Control over the Human Rights Situation in Belarus, das sich unmittelbar nach den Präsidentschaftswahlen von 2010 gründete. Letzteres setzte sogar eigens eine internationale Beobachtermission mit Sitz in Moskau und Kiew ein, die sich vor allem der Lage von Menschenrechtsverteidiger/innen, Journalist/innen und Anwält/innen annehmen soll. Die transnational agierenden Menschenrechtsorganisationen und -netzwerke tragen maßgeblich dazu bei, dass die Menschenrechtsprobleme in Belarus auf dem internationalen Parkett behandelt werden und belarussische Menschenrechtsorganisationen dort verstärkt Gehör finden. Gerade erst im Oktober 2013 organisierten beispielsweise Amnesty International und FIDH gemeinsam mit dem – vom Exil in Vilnius aus tätigen – Barys Zvozskau Belusarian Human Rights House einen Side-Event bei der UN-Generalversammlung, an dem neben Vertreter/innen von Viasna und der Belarusian Association of Journalists auch der UN-Sonderbeauftragte zu den Menschenrechten in Belarus teilnahm.


Die Kritik der Vereinten Nationen

Deutliche Kritik an den endemischen Menschenrechtsverletzungen in Belarus ist innerhalb der Vereinten Nationen zu vernehmen, sei dies nun seitens der Charta-basierten Menschenrechtskontrollorgane, wie der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, des UN-Menschenrechtsrates und verschiedener UN-Sonderberichterstatter oder seitens der vertragsgestützten UN-Menschenrechtskontrollorgane: Der UN-Menschenrechtsausschuss, als das Kontrollorgan des UN-Zivilpaktes, behandelte beispielsweise eine Reihe von Beschwerden gegen Belarus. Im Rahmen des Staatenberichtsverfahrens legten 2011 der UN-Kinderrechtsausschuss, das UN-Komitee gegen die Diskriminierung der Frau sowie der UN-Antifolterausschuss ihre durchaus kritischen „Concluding Observations“ zu Belarus vor, 2013 folgten der UN-Antirassimus-Ausschuss und der UN-Ausschuss für wsk-Rechte. Im Rahmen des „Allgemeinen Überprüfungsverfahrens“ des Menschenrechtsrates, dem sich alle Staaten der Vereinten Nationen unterwerfen müssen, war Belarus das erste Mal 2010 an der Reihe, beteiligte sich aktiv an dem Verfahren und wurde von vielen verbündeten Staaten gerade im Bereich der wsk-Rechte gelobt, während westliche Demokratien Verletzungen der bürgerlichen und politischen Rechte kritisierten.

Auf Betreiben von Menschenrechtsorganisationen setzte der UN-Menschenrechtsrat im Juni 2012 einen länderbezogenen UN-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Belarus ein, nachdem es bereits zwischen 2004 und 2007 einen solchen gegeben hatte. Wie sein Vorgänger wird der jetzige Sonderberichterstatter, der Ungar Miklós Haraszti, jedoch von der belarussischen Regierung nicht anerkannt, darf nicht nach Belarus einreisen und ist gezwungen, seine Berichte von außerhalb des Landes zu erstellen. In seinem ersten Bericht beschäftigte er sich vor allem mit dem Themenkomplex „Wahlen und Menschenrechte“. Der UN-Menschenrechtsrat wiederum drückte im Juni 2013 erneut seine große Sorge über die Menschenrechtslage in Belarus aus und forderte die dortige Regierung nachdrücklich („strongly urges“) auf „to immediately and unconditionally release and rehabilitate all political prisoners, and to rehabilitate those who have already been released, to address, through comprehensive, transparent and credible investigations, reports of torture and ill-treatment by law enforcement officials, and to put an immediate end to the arbitrary detention of human rights defenders and political opponents, arbitrary travel bans and other policies aimed at intimidating representatives of the political opposition and the media, as well as human rights defenders and civil society.“


Der Europarat – Kritik von außen

Auf regionaler Ebene sind die Einflussmöglichkeiten des Europarates, des eigentlichen „Hüters der Menschenrechte“ in Europa, gegenüber Belarus beschränkt, da das Land als einziger europäischer Staat nicht Mitglied dieser 47 Staaten umfassenden internationalen Organisation ist. Entsprechende Beitrittsbemühungen wurden 1998 eingefroren. Abgesehen von kleineren Kooperationen bleibt dem Europarat nur die Möglichkeit, gewissermaßen von außen auf die Menschenrechtslage in Belarus einzuwirken. Der damalige Menschenrechtsbeauftragte des Europarates, Thomas Hammerberg, kritisierte beispielsweise im Mai 2011 scharf die strafrechtliche Verurteilung von Menschenrechtsverteidiger/innen, die an den niedergeschlagenen Protesten nach den Wahlen im Dezember 2010 beteiligt gewesen waren, und bedauerte, dass die belarussische Bevölkerung nicht von den Instrumenten und den Programmen des Europarates im Bereich der Menschenrechte nutznießen könne – obwohl sie doch so dringend der internationalen Solidarität bedürfe.

Auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates bekundete immer wieder Solidarität und übte regelmäßig Kritik, mitunter auch in Form von Resolutionen – so beispielsweise geschehen in der Resolution Nr. 1857 (2012) und der Empfehlung Nr. 1992 (2012), die auch das Ministerkomitee des Europarates begrüßte. Gefordert wurde u. a.: die Freilassung alle politischer Gefangenen, die Einstellung der Repression gegenüber Menschenrechtsverteidiger/innen, unabhängigen Medien und politischen Oppositionellen, Reformen in den Bereichen des Versammlungs- und Vereinigungsrechts, ein Moratorium für die Todesstrafe sowie die Durchführung freier und fairer Wahlen. Der eingesetzte Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung, ab Juni 2011 Andres Herkel aus Estland, legte einen kritischen Bericht zu Belarus sowie etliche Stellungnahmen vor.


Die OSZE/ODIHR – deutliche Kritik an den Wahlen

Die 57 Staaten umfassende Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Belarus angehört, stellt einen weiteren Pfeiler des Menschenrechtsschutzes in Europa dar. Im Rahmen der sogenannten Menschlichen Dimension avancierte nicht zuletzt die Wahlbeobachtung zu einem profilierten Arbeitsbereich der Organisation. Immer wieder kritisierte das Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR) der OSZE deutlich, dass die Wahlen in Belarus gegen demokratische Standards verstießen, zuletzt bei den Präsidentschaftswahlen von 2010 und den Parlamentswahlen von 2012. Zugleich sprach die OSZE Empfehlungen bezüglich der Durchführung der Wahlen und der Ausgestaltung des Wahlgesetzes aus. Einzelne Empfehlungen wurden sogar von der belarussischen Politik, etwa im Rahmen der Wahlreformen 2010 und 2011, aufgegriffen, ohne dass dadurch jedoch ein demokratischer Rahmen für die Wahlen geschaffen worden wäre.

Im Jahre 2011 leitete die OSZE mit dem sogenannten Moskauer Mechanismus ihr schärfstes Kontrollinstrument ein, das die Einsetzung einer Ad-hoc-Kommission bzw. eines unabhängigen Experten vorsieht, um ein spezifisches Menschenrechtsproblem zu untersuchen; in diesem Fall die Niederschlagung der Demonstrationen nach den Wahlen 2010. Die belarussische Regierung weigerte sich allerdings auch mit dem eingesetzten OSZE-Sonderberichterstatter, dem Franzosen Emmanuel Decaux, zusammenzuarbeiten, und untersagte ihm die Einreise. Auf Grundlage von Interviews von Beteiligten, Zeugen und Experten außerhalb des Landes verfasste Decaux einen kritischen Bericht. Die OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, Dunja Mijatović aus Bosnien-Herzegowina, hingegen durfte – nach mehrfachen Ablehnungen – im Juni 2013 an einem Seminar zum Online-Journalismus in Minsk teilnehmen.


Die Europäische Union – „critical engagement“

Die Europäische Union bezeichnet ihre Politik gegenüber Belarus als eine „policy of critical engagement“. Diese Politik ist nicht frei von Widersprüchen und Wandel. Einerseits verhängte die EU gegenüber Belarus Sanktionen. Diese bestehen gegenwärtig in Einreiseverboten für besonders gelistete Personen, darunter auch Staatspräsident Lukaschenko, dem Einfrieren von Vermögenswerten dieser Personen und von rund zwei Dutzend Unternehmen sowie einem Embargo für Waffen und Ausrüstungen, die zur internen Repression benutzt werden können. Hinzu kommt eine restriktive Vergabe von Krediten, etwa seitens der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (ERBD). Im Oktober 2013 verlängerte die EU diese Sanktionen für ein weiteres Jahr, verringerte hierbei aber geringfügig die Zahl der betroffenen Personen (von 243 auf 232) und Firmen (von 32 auf 25). Die Verlängerung der Sanktionen begründete der Rat der Europäischen Union damit, dass es noch politische Gefangene in Belarus gebe und entlassene Gefangene nicht rehabilitiert worden seien, sowie mit fehlenden Fortschritten im Bereich der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Prinzipien. Auch hielten die EU-Organe und die EU-Staaten bisher nicht mit Kritik an den Wahlen und an Menschenrechtsverletzungen in Belarus zurück. Fraktionsübergreifend verabschiedete das Europäische Parlament in den vergangenen zehn Jahren mehr als ein Dutzend kritischer Resolutionen zu dem Land und pflegt die Beziehungen zur dortigen Opposition.

Andererseits signalisiert die EU immer wieder Dialogbereitschaft. Besonders groß war diese, als Lukaschenko infolge des Energie-Konfliktes des Jahres 2007 mit Russland – ganz im Sinne seiner damaligen Schaukelpolitik („East-West Swing“) – eine wirtschaftliche Annäherung an den Westen suchte und eine Phase begrenzter politischer Öffnung einleitete, die bis zu den Wahlen 2010 andauern sollte. In diesem Zusammenhang wurden 2008 alle damaligen politischen Gefangenen freigelassen. Die EU begann mit Belarus in einen Dialog vor allem zu wirtschaftlichen Fragen zu treten und hob – trotz offenkundiger Manipulationen der Parlamentswahlen des Jahres 2008 – sogar zeitweise die verhängten Einreiseverbote auf. Im Jahre 2009 nahm die EU Belarus in das Programm der „Östlichen Partnerschaft“ auf und beschloss, einen Menschenrechtsdialog mit Belarus einzuleiten. Zugleich erhielt Belarus 2009/2010 einen IWF-Kredit. Mit der Niederschlagung der Proteste nach den Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010 wurden jedoch etwaige Hoffnungen auf eine nachhaltige politische Liberalisierung abrupt begraben.

Wie Thomas Vogel hervorhebt, fährt die EU seitdem mehrgleisig: Die restriktiven Maßnahmen gegenüber dem Regime – einschließlich der 2008 vorübergehend ausgesetzten Einreiseverbote – wurden 2011 erneuert und sukzessive verschärft. Auch kann Belarus nicht am Programm der Östlichen Partnerschaft teilnehmen. Die technische Zusammenarbeit wurde aber fortgeführt. Zugleich verstärkte die EU ihre finanzielle Unterstützung der Opposition und der Zivilgesellschaft. Der EU-Nachbarschafts-Kommissar, der Tscheche Štefan Füle, initiierte 2012 eine „Modernisierungspartnerschaft“ mit NGOs und politischen Gruppen im Land, um entsprechende Initiativen zu besprechen.

Bei dem EU-Gipfel im litauischen Vilnius im November 2013 signalisierte nun der belarussische Außenminister die Bereitschaft seines Landes, Verhandlungen über ein Visaerleichterungsabkommen mit der EU aufzunehmen. Nachdem die EU-Kommission ein ebensolches Angebot im Jahre 2004 aus politischen Gründen abgelehnt hatte, steht sie dem Angebot heute positiv gegenüber. Ob allerdings Präsident Lukaschenko wirklich daran gelegen ist, den belarussischen Bürgern mehr Reisemöglichkeiten in die EU zu eröffnen, während diese ihm selbst verwehrt bleiben, ist fraglich. Zu sehr könnten die Bürger von dem „Freiheitsvirus“ und den Annehmlichkeiten des westlichen Lebensstandards „infiziert“ werden.


Was bewirkt die Menschenrechtspolitik gegenüber Belarus?

Die internationale Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in Belarus ist weithin zu vernehmen. Für die Menschenrechtsverteidiger/innen vor Ort ist sie gewiss von großer symbolischer Bedeutung, bekundet sie doch ein hohes Maß an Solidarität aus dem Ausland und verstärkt, versehen mit internationaler Legitimation, potenziell auch innerhalb des Landes ihre menschenrechtlichen Anliegen. Dementsprechend sind Menschenrechtsorganisationen in Belarus bemüht, die internationalen Menschenrechtsinstitutionen und -organisationen sowie deren Berichte und Stellungnahmen auch der Bevölkerung in Belarus nahezubringen. Die Reichweite solcher Bemühungen ist allerdings begrenzt.

Eine Studie zur Wirkkraft von Menschenrechtsresolutionen des Europäischen Parlaments zeigt beispielsweise, dass Informationen über die menschenrechtlichen Aktivitäten des Europäischen Parlaments zwar über das Internet und unabhängige Medien nach Belarus gelangen, dort aber auf wenig Resonanz stoßen. In den dominierenden, regimetreuen Medien würden sie nur dann erwähnt, wenn es eine offizielle Reaktion der Regierung dazu gebe – die in der Regel in Gegenkritik besteht. Erkennbare Auswirkungen auf die politische Führung in Belarus zeitigte die Kritik des Europäischen Parlaments bisher kaum. Allerdings kann die politische Führung in Belarus an solchen Resolutionen die Haltung der EU gegenüber Menschenrechtsverletzungen ablesen und es so, auch mit Blick auf etwaige wirtschaftliche Kooperationen, vermeiden, „den Bogen zu überspannen“.

Hinzu kommt, dass das Regime Lukaschenkos versucht, Menschenrechtsverteidiger/innen im eigenen Land zu kriminalisieren und die internationale Kritik zu entwerten. Eingriffe in die Menschenrechte versucht die politische Führung in Belarus nicht nur zu rechtfertigen, sondern es wird regelrecht für diese geworben; z. B. im Sinne der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und unter dem Banner der nationalen Souveränität. Dies kommt bei Teilen der Bevölkerung durchaus an, zumal wenn es um (vermeintliche) Straftäter oder um Homosexuelle geht.

Selbst im Rahmen der Vereinten Nationen zeigt sich das Regime nicht nur gegenüber Kritik renitent, sondern bemüht sich inzwischen gemeinsam mit anderen autoritär regierten Staaten, die Menschenrechte und die Menschenrechtsverfahren für seine Zwecke zu nutzen. Aufschlussreich ist hier das „Allgemeine Überprüfungsverfahren“ des UN-Menschenrechtsrates, in dessen Rahmen Vertreter/innen etlicher Staaten, darunter Russland und Aserbajidan, China und Vietnam sowie Kuba und Venezuela, viele lobende Worte für das menschenrechtliche „commitment“  der belarussischen Regierung fanden. Menschenrechtsförderliche Anpassungs- und Sozialisationseffekte, die sich durch eine ständig wiederholte menschenrechtliche Berichterstattung und Kritik internationaler Kontrollorgane potenziell ergeben, werden durch solche informelle Bündnisse erheblich abgedämpft. Hinzu kommt, dass etliche autoritär regierte Staaten in die Offensive gehen und ihrerseits westlichen Demokratien Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. In diesem Sinne legte das belarussische Außenministerium im Februar 2013 auch einen selbst verfassten Bericht über Menschenrechtsverletzungen des Jahres 2012 in rund zwei Dutzend Ländern vor, darunter in den USA, Kanada und einigen EU-Staaten.

Damit stellt sich die Frage, inwieweit die politische Führung in Belarus auf Sanktionen und wirtschaftliche Anreize reagiert. Symbolisch sind die bisherigen Sanktionen – auch im Sinne der Menschenrechtsgebundenheit der Außenpolitik der EU-Wertegemeinschaft – zwar von Bedeutung; ihre Wirkung innerhalb Belarus‘ ist aber begrenzt. Die bisherigen Einreiseverbote mögen zwar ärgerlich für die politische Führung des Landes sein, verpuffen aber weitgehend wirkungslos. Schlimmstenfalls können sie sogar die vom Regime angekündigten Verhandlungen über Visaerleichterungen für die belarussische Bevölkerung behindern. Der wirkungsvollste Hebel, den die – trotz Krise – finanzstarke EU in der Hand hält, sind wirtschaftliche Sanktionen. In diesem Sinne sind gezielte Sanktionen gegen einzelne Firmen und Mittelsmänner, von denen das Regime profitiert, zu begrüßen. Auch erhält das Regime in Belarus keine direkte finanzielle Unterstützung seitens der EU.

Zu allgemeinen oder (wie im Fall der USA) sektoralen Wirtschaftsembargos gegen Belarus konnten sich indes die EU-Staaten bislang nicht durchringen. Stattdessen betreiben die EU-Mitgliedsstaaten regen Handel mit großen Staatsbetrieben in Belarus. Allerdings könnten harte Wirtschaftssanktionen die Bevölkerung in Mitleidenschaft ziehen und die enge Anbindung des Landes an Russland weiter verstärken. Gegenwärtig sieht es ohnehin danach aus, als würde Belarus dauerhaft im russischen Einflussbereich verbleiben. Die EU ist nicht gewillt, ein ähnlich großes wirtschaftliches Engagement in Belarus zu entwickeln wie Russland, das das Land mit großzügigen Krediten an sich bindet. Vor allem aber wird Russland eine etwaige westliche Annäherung Belarus’ nicht zulassen.

Trotz lautstarker internationaler und transnationaler Kritik, trotz diplomatischen Drucks und (freilich begrenzter) wirtschaftlicher Sanktionen sind alles in allem die Auswirkungen auf die Menschenrechtslage in Belarus eher gering – und können Menschenrechtsfortschritte auch nur bedingt ‚von außen‘ erwirkt werden. Allenfalls können interne Demokratieprozesse gestärkt und belarussische Menschenrechtsbewegungen unterstützt werden. Doch angesichts der Schwäche der belarussischen Zivilgesellschaft und der bisherigen Stabilität des autoritären Regimes Lukaschenkos, das – trotz aller Konflikte – von Russland gestützt wird, stößt die Menschenrechtspolitik gegenüber Belarus an ihre Grenzen.

Der Autor

Michael Krennerich ist Privatdozent am Lehrstuhl für Menschenrechte und Men-schenrechtspolitik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist Vorsitzender des Nürnberger Menschenrechtszentrums.