Armutsprostitution – eine gesellschaftliche Herausforderung¹

„Mein Mann und ich brauchten Geld zum Leben und wir wollten ein eigenes Haus haben und nicht mehr bei den Schwiegereltern in Bulgarien mitwohnen (…). Damals lebten wir von seinen Gelegenheitsjobs (…). Wir wollten eine ganz normale Arbeit in Deutschland finden (…). Das war die erste Idee (…). Dann konnte ich hier keine Arbeit finden und habe von einer Bekannten gehört, dass man auf der Straße gut Geld verdienen kann (…). Am Anfang war mein Mann nicht einverstanden, er hat mehrmals gefragt: Warum machst du das? Ich habe geantwortet, dass wir keine Alternative haben, weil wir kein Geld haben. Und mit der Zeit ist er langsam auf den Gedanken gekommen, dass es in Ordnung ist (…). Bis heute haben wir kein eigenes Haus in Bulgarien (…), ich bin jetzt 29 Jahre alt und habe Angst davor, zurückzugehen, was soll ich dort machen? Es gibt keine Arbeit und ohne Ausbildung ist es schwer“.
Dies berichtet eine bulgarische Klientin im Beratungsgespräch bei FIM (Juni 2014).2  Die Frau hat neun Jahre lang die Existenz ihrer Familie mit Prostitution gesichert, sie will jetzt aussteigen. Die volle Freizügigkeit für bulgarische Bürger in der Europäischen Union – seit 1. Januar 2014 – bietet ihr neue Möglichkeiten.

In einer noch schwierigeren Situation befindet sich eine rumänische Frau, die eine FIM-Beraterin bei der Streetwork anspricht. Die Frau wurde von einem Zuhälter auf den Straßenstrich gebracht, ihr wurde eine „seriöse Arbeit“ versprochen, und sie ist erstmals in der Prostitution. Sie hat Angst, ihr wurden Schläge angedroht für den Fall, dass sie nicht genug Geld verdienen würde. Sie ist verzweifelt, ihr gesundheitlicher Zustand ist sehr schlecht. Sofortige medizinische Hilfe wird benötigt, ein Dach über dem Kopf und ein vertrauensvolles Gespräch mit der Sozialberaterin. Später spricht die Frau auch mit der Polizei und möchte sich gegen den Zuhälter wehren. Nach zwei Nächten in der Notunterkunft verschwindet sie jedoch spurlos und wird wenige Tage später wieder auf dem Straßenstrich angetroffen. Sie berichtet: „Ich habe ihn nochmal getroffen, und er hat mir versichert, dass ich für mich arbeiten kann. Ich muss das für meine drei Kinder in Rumänien machen, mindestens 300 Euro muss ich ihnen im Monat schicken können. Woher bekomme ich ansonsten dieses Geld?“ (FIM, Juli 2014). 

Geschildert wurden exemplarisch zwei der zahlreichen Begegnungen, die die Beraterinnen von FIM mit Frauen haben, die sie in der Prostitution antreffen. Das Erfahrungswissen von FIM zu den Arbeits- und Lebensbedingungen der Migrantinnen im Milieu ist breit gefächert und kann im Wesentlichen nach drei Gruppen, die bei FIM Unterstützung suchen, kategorisiert werden. Dabei sind die Übergänge oft fließend zwischen: 
• Frauen, die selbstbestimmt tätig sind und sich in der Regel aufgrund von Perspektivlosigkeit und mangelnder Erwerbsalternativen zur (vorübergehenden) Prostitution entschieden haben; 
• Frauen, die sich aufgrund einer existenziellen Notlage und psychosozialen Zwangssituation bzw. Abhängigkeit zur Prostitution entschieden haben und ausgebeutet werden; 
• Frauen, die zur Prostitution gezwungen und ausgebeutet werden und die nie selbst in Betracht gezogen hatten, diesem Erwerb nachzugehen. 

Infolge der EU-Osterweiterung – insbesondere seit 2007 – hat sich der Prostitutionsmarkt stark verändert. Mit diesem Beitrag soll der Blick gelenkt werden auf die heute größte, in prekären Verhältnissen tätige Gruppe in der Prostitution. Es sind die Frauen aus den neuen EU-Ländern, die sich mangels Alternative auf dem Markt bewegen und in einem Zwischenfeld leben zwischen selbstbestimmter bzw. selbst gewollter Prostitution und der erzwungenen bzw. fremdbestimmten Prostitution.3 Denn aus Armutsmigration ist Armutsprostitution geworden. 

Bei den in der Armutsprostitution tätigen Frauen verbinden sich extrem nachteilige biografische Voraussetzungen mit einem fehlenden professionellen Selbstmanagement. Eine Realität, die mit inakzeptablen Marktgesetzen sowie mit kriminellen Rahmenbedingungen im Milieu korreliert. Konkret sind die Frauen oft jung – beginnen manchmal minderjährig in dem Gewerbe –, und sie haben wenig Lebenserfahrung. Ihnen fehlen oft Schul- und Berufsausbildung, sie hatten keine Erwerbsarbeit im Herkunftsland, in ihrem Leben haben sie nicht selten schon als Kind oder Jugendliche (sexuelle) Gewalt erfahren, wurden schon als Jugendliche Mutter, ihre Existenz und die ihrer Familie sind ungesichert. Der Prostitution gehen sie ohne Gesundheitsversorgung nach, sie sind ohne festen Wohnsitz, ohne soziale Absicherung, ihnen fehlen ein gutes Selbstmanagement und eine realistische Zukunftsplanung. 

Der Markt, auf dem sie sich bewegen, ist geprägt von Dumpingpreisen, von Freiern, die ungeschützten Geschlechtsverkehr fordern und auch Gewalt ausüben. Von der Armutsprostitution profitieren die Freier, die umfangreiche Leistungen für wenig Geld einfordern und (neue) menschenrechtlich inakzeptable Formen beim käuflichen Sex durchsetzen, wie z. B. „Gang Bang“-Partys oder „Flatrate“-Angebote. Es sind Freier, die manchmal nach besonders jungen Frauen oder Minderjährigen Ausschau halten. Von der Armutsprostitution profitieren vor allem aber auch Zuhälter und Menschenhändler, die die vulnerablen Frauen abhängig machen, zur Prostitution drängen oder zwingen und ausbeuten. Die Nutznießer des bestehenden Prostitutionsgesetzes (2002) sind in erster Linie die Vermieter und Betreiber von ausgewiesenen Prostitutionsstätten (Häuser, Wohnungen) und von wirtschaftlichen Mischbetrieben (Erotic-Center, FKK-Clubs, „Wellness“-Betriebe). Die „heimlichen“ Kooperationen zwischen legalem, sichtbarem Geschäftsbetrieb und den kriminellen und unsichtbaren Geschäftemachern (Zuhälter und Menschenhändler) gehören dazu. Der Trend geht weg von den bekannten, seit Jahrzehnten „etablierten“ Bordellen hin zu mehr durch Betreiber organisierte und fluktuierende Wohnungsprostitution sowie zu in „Wellness-Großbetriebe“ eingeflochtener Prostitution. Die Straßenprostitution mit ihrem ganz besonderen Sicherheits- und Gesundheitsrisiko ist am stärksten von Frauen in der Armutsprostitution geprägt. Die derzeit vorherrschende strukturelle Problematik hat der Bundesrat treffend in den Worten zusammengefasst: „Es besteht ein erhebliches strukturelles Machtgefälle zwischen Zuhältern und Bordellbetreibern auf der einen und Prostituierten auf der anderen Seite, welches sowohl die Bildung angemessener Marktpreise als auch zumutbarer Arbeitsbedingungen grundsätzlich verhindert.“4

Die öffentliche Diskussion zu Prostitution wird in Deutschland von ideologisch festgefahrenen Gruppenpositionen bestimmt: Auf der einen Seite stehen die Befürworterinnen von Prostitution als Beruf, die durch Präsenz in der Öffentlichkeit stark die Diskussion prägen. Schätzungsweise weniger als 10 % der in der Prostitution tätigen Frauen – mit entsprechend guten oder privilegierten Arbeitsbedingungen – dürften von dieser Gruppe repräsentiert werden. Auch viele selbstbestimmt tätige Frauen in der Prostitution unterstützen diese politische Forderung nach Anerkennung als Beruf nicht, weil sie jeweils für sich in dem „Gewerbe“ nur eine Übergangs- und Notlösung ohne beruflichen Charakter oder Perspektive sehen. Von der Lobbygruppe „Prostitution als Beruf“ werden die besonderen Herausforderungen, die die menschenverachtenden und kriminellen Realitäten in der Prostitution an die Gesellschaft und Politik stellen, weitgehend ausgeblendet. Bei ihnen stehen vielmehr die Abwehr von Diskriminierung und Stigmatisierung der „Berufsgruppe“ und deren Anerkennung im Vordergrund. Nur unter den Gesichtspunkten der Anerkennung und Rechtssicherheit von Prostitution als Beruf – auf Grundlage des Gleichheitsgedankens – wird eine Regulierung des Prostitutionsgewerbes in minimalistischer Form unterstützt. Unter einer Entkriminalisierung von Prostitution wird die Streichung sämtlicher prostitutionsspezifischer Einzelnormen, wie Zuhälterei (§181a StGB) und Ausbeutung von Prostituierten (§180a StGB) verstanden.5

Auf der anderen Seite stehen die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution im Fokus der Diskussion. Für die VertreterInnen dieser Gruppe ist jede Frau in der Prostitution ein Opfer von Gewalt. Möglichkeiten zur Selbstbestimmung werden verneint. Prostitution erscheint hier per se als würdelos, sie steht den Menschenrechten entgegen, deshalb sollte Prostitution verboten sein. Forderungen, die die Handlungskompetenz von Frauen in der Prostitution stärken, treten in den Hintergrund. Das bekannteste Beispiel in Deutschland findet sich in der Kampagne: „Appell gegen Prostitution“, die von der Zeitschrift „Emma“ Ende 2013 initiiert wurde. Die Kampagne zielt auf die Bestrafung der Freier ab und erhielt viel prominente Unterstützung.6

Das Lager „pro Prostitution“ blendet geschlechterpolitische Probleme und gesellschaftskritische Fragen zur Vermarktung von Sexualität aus. Die Schwierigkeit des Lagers „gegen Prostitution“ besteht darin, zu akzeptieren, dass Frauen in prekären Lebensverhältnissen und aus wirtschaftlich unterprivilegierten Ländern die Priorität im Finanziellen, in der Existenzsicherung oder der Teilhabe am Wohlstand sehen – und nicht in der Wahrung ihrer körperlichen Grenzen oder dem Schutz vor Gewalt.7 Ideologisches Debattieren in Extremen kann indes nur zur Pointierung von Problemen bzw. Themen beitragen. Soll es als Wirklichkeitsmarker fungieren, dann wird der Blick auf die gesellschaftliche Realität verstellt. Das Leben der Frauen in der Prostitution liegt zwischen diesen Polarisierungen, im gegenwärtigen Diskurs werden ihre Wirklichkeit, die Vielfalt und die Differenzen, ausgeblendet.8 So gehören heute insbesondere die großen Gruppen der Frauen in der Armutsprostitution zu den unsichtbar gewordenen. Es sind nämlich die Frauen, die weder zu den strafrechtlich definierten Opfern von Menschenhandel oder Zuhälterei noch zu den etablierten, berufsorientierten Sexarbeiterinnen zählen. 

Es sind die vulnerablen, ungeschützten oder verwundbaren Frauen, die sich im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten entschieden haben oder dazu entscheiden mussten, im Milieu zu arbeiten, die unter erniedrigenden und menschenunwürdigen Bedingungen tätig sind, oft von Zuhältern und Menschenhändlern ausgebeutet und gezwungen werden und (noch) nicht aussteigen können. Es handelt sich nicht einfach um einen ausbeuterischen Arbeitsmarkt, sondern um eine Verkettung von strukturellen und individuellen Zwangssituationen, die zur Alternativlosigkeit und zur Ausweglosigkeit führen. Diese Frauen stellen heute die größte Gruppe auf dem Markt in der Prostitution. Dadurch wurden Standards in der Prostitution insgesamt verändert, denn die Strukturen und Arbeitsbedingungen haben sich derart verschlechtert, dass selbst manche etablierten und professionell tätigen Frauen aussteigen. 

Der bei der Streetwork von FIM am häufigsten auftretende Fall ist seit Jahren die junge, unerfahrene Rumänin oder Bulgarin, die unter prekären Lebensbedingungen in der Prostitution mit Dumpingpreisen und gesundheitsgefährdenden Leistungen im Massenverfahren „arbeitet“ und ihr Geld abgibt an Betreiber und an den Zuhälter, der oft zugleich auch als ihr Freund agiert. Das Wenige, das den Frauen bleibt, geht an die Familie im Herkunftsland, die auf regelmäßige Unterstützung aus dem Ausland angewiesen ist. Häufig erfahren die Frauen Gewalt und machen solange ungesichert weiter, bis ihr Körper streikt oder ihre Attraktivität nicht mehr für den Markt ausreicht. Diese Frauen können ihre Interessen, ihr Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung und Unversehrtheit nicht wahren, sich nicht wehren, sich nicht als Opfer zu erkennen geben. Dennoch sind sie Opfer von struktureller und oft auch direkter Gewalt, von Ausbeutung und von Zuhälterei. Ihre Zwangslage und auslandsspezifische Hilflosigkeit wird ausgenutzt, jedoch erhalten sie keine Opferrechte, sind nicht in einem Opfer-(Zeugen-)Schutzprogramm. Ein Strafverfahren wegen Menschenhandel oder Zuhälterei findet nicht statt. Diese Frauen entscheiden sich dazu, weiterzumachen, weil ihnen Lebens- und Erwerbsalternative fehlen, weil sie finanzielle Verantwortung für Familie und Kinder im Herkunftsland tragen; weil sie sozial bzw. emotional an Zuhälter- und Freundesnetzwerke gebunden sind; und auch deshalb, weil sie voller Ängste und Unsicherheiten sind und ihnen das Vertrauen zu den deutschen Strafverfolgungsbehörden sowie den Hilfestrukturen fehlt.

Für FIM als Frauen- und Menschenrechtsorganisation ist Prostitution nicht als Beruf wie jeder andere zu definieren. Die Vermarktung von Frauenkörpern und Sexualität drückt eine Asymmetrie zwischen den Geschlechtern aus und stützt sexistische patriarchale gesellschaftliche Strukturen. Dies ist die gesellschafts- und insbesondere geschlechterpolitische Ebene. Als Beratungszentrum besteht die Aufgabe von FIM allerdings darin, Frauen in Notlagen und schwierigen Lebenssituationen zu stärken und zu unterstützen, sie in ihrer eigenen Entscheidung zur Existenzsicherung zu respektieren – egal um welche Form von Tätigkeit es sich handelt. Dazu gehören selbstverständlich auch die Frauen, die – mehr oder weniger – selbstbestimmt in der Prostitution arbeiten und dort auch, meist vorübergehend, verbleiben wollen.

Politisches Handeln kommt nicht umhin, Prostitution in ihrer vielseitigen gesellschaftlichen Realität zu begegnen. Oberstes Ziel sollte dabei die Wahrung der Menschenwürde durch Einhaltung der Menschenrechte sein. Für die Frauen bedeutet dies, dass sie darin unterstützt werden müssen, den Ausstieg aus der Prostitution zu schaffen oder aber ein professionelles Management in der Arbeit aufzubauen; verbunden mit entsprechender Fürsorge für sich selbst. Für die Gesellschaft bedeutet dies, unmissverständliche Grenzen des Hinnehmbaren in der Prostitution festzulegen, dafür die Rahmenbedingungen zu setzen und diese Grenzen kompromisslos zu schützen. Festgeschriebene Mindeststandards im Milieu sowie deutlich verbesserte Schutz- und Unterstützungsangebote sind hierfür genauso notwendig wie Maßnahmen, durch die die Frauen über die Prostitution hinaus in die Gesellschaft eingebunden werden, sodass sie sich stabilisieren und schützen können. Je besser die Frauen in das deutsche Rechtssystem, in soziale Unterstützungssysteme und in regionale Strukturen eingebunden sind, umso weniger werden sie sich durch Europa schicken lassen. Und durch die Befähigung zur Selbstbestimmung werden Menschenhändler, Zuhälter und Betreiber an Macht verlieren.

Politik und Gesellschaft stehen weitreichenden Menschenrechtsverletzungen an Frauen in der Prostitution und komplexen Problemen gegenüber. Dass wir bei Menschenhandel nur an das Strafrecht und an den Opferschutz denken und beim Blick auf die Prostitution nur an das Gewerberecht, wird der gesellschaftlichen Realität, den vielen Überschneidungen und Zwischenformen von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung sowie von Freiwilligkeit und Zwang nicht gerecht. Ein klarer politischer Wille zur Sicherstellung der Grund- und Menschenrechte für alle erfordert Mut: Zahlreiche rechtliche Neuregelungen, regulierende, ordnungspolitische und auch kontrollierende Maßnahmen, die die Probleme fokussieren, sind erforderlich und mit sozialen und bildungspolitischen Vorhaben für die Frauen zu verknüpfen.

Prostitution ist legal, erlaubt und nicht mehr sittenwidrig. Deshalb ist es die Pflicht des Staates, diesen Markt zu ordnen, für rechtsstaatliche Verhältnisse und Mindeststandards zu sorgen, die an den Menschenrechten orientiert sind.9 Das größte Problem besteht darin, dass die Frauen in der Armutsprostitution über keine starken Fürsprecher verfügen und der Markt für weite Teile der Gesellschaft unsichtbar bleibt; also „störungsfrei“ ist. Bislang war der politische Wille zum Handeln – auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene – nicht oder nur marginal vorhanden. Sollten mit den aktuellen Diskussionen zu Menschenhandel und Prostitution in Deutschland und Europa neue Gesetze und Regelungen beschlossen werden, dann besteht die große Herausforderung darin, den politischen Willen mittels ausreichender finanzieller Mittel umzusetzen, und zwar bundesweit einheitlich – in ländlichen wie auch in städtischen Regionen. 

Für jegliche Verbesserung ist die fachliche Begleitung durch interdisziplinär und interinstitutionell besetzte Arbeitsgremien zur fortwährenden Entwicklung und Anpassung von Maßnahmen zur Gewaltprävention, zum Schutz der Frauen und zur Förderung der regionalen Kooperation grundlegend. Die Maßnahmen müssen von den Einrichtungen, die über praktische Erfahrungen in der Beratung von Frauen in der Prostitution bzw. im Opferschutz bei Menschenhandel verfügen sowie von Interessenvertretungen verschiedener Gruppen in der Prostitution (auch Armutsprostitution und Migrantinnen), fachlich begleitet werden. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass die reale Vielfalt der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen in der Prostitution im Mittelpunkt steht. Denn jede ideologische Diskussion geht an den Problemlagen der Frauen und an deren Bedürfnissen vorbei.

In dem Bemühen, das Feld zu sortieren und einen strukturierten Überblick zur Realität in der Armutsprostitution zu erstellen, wurde aus der Arbeitspraxis von FIM eine Synopse nach den drei Haupt-„ProtagonistInnen“ entwickelt:
• die Frauen;
• die Betreiber und Dritte;
• die Freier-Nachfrage.

Verkürzt und pointiert werden darin zentrale Probleme, Anregungen und Empfehlungen formuliert. Es handelt sich um eine Arbeitsgrundlage, die vor allem auch aufzeigen soll, dass eine Problembewältigung nur ganzheitlich erfolgen kann, sich nicht nur an Maßnahmen bei der Strafverfolgung oder in Bezug auf die Frauen zu orientieren hat. Diese Problemskizzen verdeutlichen, dass die Arbeits- und Lebensrealität in der Prostitution nicht zu vergleichen ist mit einer Arbeit wie jeder anderen. Zugleich werden große gesellschaftliche Themen und Herausforderungen sichtbar; sie zeigen sich in der Synopse in einer greifbaren und praxisbezogenen Form.

1. Die Frauen

1.1 Frauen: Opfer von Ausbeutung und Gewalt 

Problemskizze: Die Opfer von Ausbeutung und Gewalt sind schulisch und beruflich benachteiligt, haben einen prekären familiären Hintergrund, sind jung und unerfahren und psychosozial instabil. Den Frauen fehlt oft ein Bewusstsein für die eigene Opfersituation, sie sind in psychosozialer Abhängigkeit zum Ausbeuter, fühlen sich bedroht und haben Angst, sich zu wehren. Das Vertrauen zu Hilfeeinrichtungen oder aber zur Polizei fehlt. Vor Gericht werden die Frauen durch unsensible Vorgehensweisen häufig nochmals viktimisiert. Mit den Verfahrensabschlüssen erleben sie oft keine Gerechtigkeit, regelmäßig werden verhängte Strafen als zu niedrig erlebt.

Empfehlungen: Die Altersgrenze zur Erwerbsarbeit in der Prostitution ist auf 21 Jahre, z. B. als Betreiberauflage im Gewerberecht, zu erhöhen. Die Rechte auf Opferschutz sind grundsätzlich zu stärken, diese sollen auch ohne Zeugenschaft vor Gericht bestehen. Eine stärkere Würdigung der Sachmittelbeweise vor Gericht ist erforderlich. Fachberatungsstellen sollten flächendeckend vorhanden sein und konsequent von polizeilicher Seite und kommunalen Behörden eingebunden werden. Erforderlich sind zudem Fortbildungen für Polizei und für die Gerichtsbarkeit. Schadensersatzverfahren und Gewinnabschöpfungen sind regulär durchzuführen.

Erläuterungen: Die Erfahrungen von FIM zeigen, dass besonders junge Frauen die Tätigkeit in der Prostitution schlecht verkraften (Stichpunkte: Fehlende Lebenserfahrung, frühe Phase der Identitätsbildung, Stand der neurologischen Entwicklungen). Die Ausarbeitung „Menschenhandel als Menschenrechtsverletzung“ gibt einen detaillierten Überblick über notwendige Maßnahmen zur Verbesserung von Opferschutz und Bekämpfung von Menschenhandel in Deutschland. Darin wird u. a. darauf verwiesen, dass vorhandene Strukturen (Runde Tische, Kooperationsvereinbarungen u. a.) weiterentwickelt werden müssen und dass ein Aktionsplan zur Bekämpfung von Menschenhandel erforderlich ist.10

1.2 Vulnerable Frauen, die (vorerst) in der Prostitution verbleiben
Problemskizze: Für vulnerable Frauen, die (vorerst) in der Prostitution verbleiben, gilt: Das vorherrschende Preis-Leistungs-Verhältnis ist katastrophal; dies bedeutet, sie stehen vielen Freiern zur Verfügung und arbeiten ungeschützt für wenig Geld. Der Selbstschutz der Frauen im Kontakt mit den Freiern fehlt, auch Gewalterfahrungen werden erduldet. Die Situation der Frauen zeichnet sich durch eine besonders hohe Fluktuation aus, Händlernetzwerke verschieben die Frauen zwischen Regionen und Ländern.

Empfehlungen: Den Frauen sollte eine Registrierung, verbunden mit strengem Datenschutz, ermöglicht werden. Diese ist zwingend mit einem niedrigschwelligen Beratungs- und Unterstützungsangebot zu verknüpfen. Die Frauen sind über ihre Rechte sowie über arbeits- und aufenthaltsrechtliche Anforderungen und Auflagen zu informieren (Stichworte: Rechte, Pflichten, Hilfen).11 Die MitarbeiterInnen der jeweils kommunal zuständigen Stellen und Behörden sind fachlich sowie interkulturell fortzubilden. Der Gefahr von Diskriminierung und Stigmatisierung ist präventiv zu begegnen.

Erläuterungen: Transparente und verlässliche Strukturen sowie Informationen sollen in Verbindung mit qualifizierter Einzelfallhilfe die Frauen dabei unterstützen, ein gutes Selbstmanagement entwickeln zu können. Qualifiziertes Arbeiten in der Einzelfallhilfe bedeutet dabei immer fachliche, kulturelle und sprachliche Kompetenz. Die Stärkung der Frauen kann über die Kombination erreicht werden, Hilfestellung und Rechte zu geben sowie Pflichten einzufordern. Je weniger die Frauen mobil sein müssen, umso mehr verfügen sie über regionale Orientierung und Handlungskompetenz.

1.3 Gesundheitliche Versorgung der Frauen
Problemskizze: Die Frauen haben keinen Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Das Wissen über gesundheitliche Erfordernisse und/oder die faktischen Zugangsmöglichkeiten zu einer medizinischen Versorgung sind nicht vorhanden. Es fehlt das Bewusstsein und ein Verantwortungsgefühl für die eigene Gesundheit. In aller Regel sind die Frauen nicht krankenversichert. Eine medizinische Versorgung findet faktisch nur im Notfall statt. Zugleich ist die Infektionsgefahr groß. Der Markt zwingt zu Sex ohne Schutz, in manchen Häusern findet „alles ohne“ statt; in Eroticclubs ist das „Ohne-Prinzip“ sogar Standard.

Empfehlungen: Es sind ausreichende Versorgungskapazitäten bei den Gesundheitsämtern einzurichten, die Ämter sind zur niedrigschwelligen Kontaktaufnahme mit der Zielgruppe zu verpflichten und mit ausreichend geschultem Personal auszustatten. Die Angebote der Gesundheitsämter sind zwingend vorzuhalten (§ 19 Infektionsschutzgesetz). Streetwork sollte über Sozialberaterinnen und Gesundheitsämter gemeinsam erfolgen; Sozialberaterinnen sollten in enger Abstimmung über Versorgungsmöglichkeiten der Gesundheitsämter informieren. Die Verpflichtung zur Krankenversicherung ist durchzusetzen. Modellhaft sollte kommunal ein Verfahren zur Erteilung einer Gesundheitslizenz erprobt werden; diese könnte z. B. im Zusammenhang mit einer Registrierung und Gesundheitsberatung erfolgen. Die Betreiber sollten dafür verantwortlich gemacht werden, dass ein niedrigschwelliger Zugang zur gesundheitlichen Versorgung der Frauen gesichert ist. Auch haben sie auf die Kondompflicht hinzuweisen.

Erläuterungen: Die Gesundheitsversorgung und die damit verknüpfte Beratung sind zentrale Themen für die Stärkung der Frauen. Das Thema Gesundheit stellt eine „neutrale“ Zugangsmöglichkeit für Beratung und Information dar; hieraus kann sich ein schützendes Selbstmanagement oder auch der Ausstieg aus der Prostitution entwickeln. Ein erzwungener Infektionscheck der Frauen kann nicht gewollt sein; er erinnert an vergangene Zeiten mit dem diskriminierenden „Bockschein“ und würde einseitig, wenig nachhaltig und faktisch ineffizient die Frauen für die Männer „clean halten“. Verpflichtende Regelungen zum Thema Gesundheit sind deshalb sehr sensibel abzuwägen. Fakt ist, dass mit der Abschaffung des „Bockscheins“ bundesweit die Kapazitäten der Gesundheitsämter reduziert wurden und regelmäßige Untersuchungen der Frauen alleine aus Kapazitätsgründen heute nicht möglich wären. Es gilt, niedrigschwellige, nicht diskriminierende Regelungen und Informationsmaßnahmen zu entwickeln, die mit ergänzender Einzelfallhilfe wirken können. In jedem Fall ist das Freierverhalten bezüglich gesundheitlicher Fragestellungen zu berücksichtigen. Beispielsweise werden deutliche Ansagen gegenüber den Freiern („hier nur mit Kondom“) von den Frauen als Schutz erlebt, wenn sie sich auf entsprechende Regelungen der Betreiber berufen können.

1.4 Frauen: Erwerbsalternativen zur Prostitution?
Problemskizze: Wo bleibt die Erwerbsalternative zur Prostitution? Der Teufelskreis besteht darin, dass die Frauen in der Armutsprostitution weder einen Wohnsitz angemeldet haben noch über eine Steuernummer bzw. Identifikationsnummer verfügen. Weil sie sich nur „informell“ und nicht offiziell als Erwerbstätige oder in Deutschland Aufhaltende bewegen, ist es für sie nur schwer möglich, eine reguläre, alternative Erwerbsarbeit zu finden. Diese Probleme bestehen unabhängig von den für sie grundsätzlich sehr schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland.

Empfehlungen: Es sind niedrigschwellige und perspektivisch existenzsichernde Ausstiegsmöglichkeiten bereitzustellen. Hierzu gehören Bildungsmaßnahmen wie auch Erwerbsarbeit. Übergangszeiten von der Prostitution in andere Formen der Existenzsicherung sind konzeptionell einzuplanen. Auch mit Blick auf einen späteren Ausstieg sind in der Prostitution tätige Frauen auf die Bedeutung einer eigenen Anmeldung sowie Steuernummer hinzuweisen und dabei zu unterstützen, diesen ordnungspolitischen Anforderungen nachzukommen.

Erläuterungen: Zu FIM kommen zunehmend rumänische und bulgarische Frauen, die auf Grundlage der vollen Freizügigkeit seit Januar 2014 aus der Prostitution aussteigen wollen. Da die Frauen über keinen Arbeitsnachweis zu ihrer Tätigkeit in Deutschland verfügen, haben sie keinen Leistungs- bzw. Unterstützungsanspruch, auch wenn sie viele Jahre hier gearbeitet haben. Vom Bund werden derzeit verschiedene Ausstiegsprojekte modellhaft gefördert. Nach deren Auswertung sollten sie in Regelmaßnahmen der Bundesländer übernommen werden.

2. Die Betreiber und Dritte


2.1 Informationen

Problemskizze: Wie gelangen wichtige Informationen (Rechte, Pflichten und Hilfe) zu den Frauen? Der Zugang der Streetworkerinnen in die Prostitutionsstätten ist von der Betreiberzustimmung abhängig und deshalb oft nicht möglich.

Empfehlungen: Die gewerberechtlichen Regelungen für Betreiber bzw. ordnungspolitische und sozialpolitische Maßnahmen müssen sicherstellen, dass wichtige Informationen die Frauen erreichen (niedrigschwellig) und dass die persönliche Kontaktaufnahme zu einer Hilfeeinrichtung unkompliziert stattfinden kann.

Erläuterungen: Nur wenn die Frauen ein verlässliches Wissen über die legale und soziale Situation erlangen sowie vertrauenswürdige Personen und Institutionen als mögliche Unterstützer wahrnehmen, sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, sich mutig und selbstbestimmt für die eigenen Rechte und Interessen einzusetzen.

2.2 Geld, Geld, Geld
Problemskizze: Die Frauen zahlen Wuchermieten für ihre Zimmer. Für die Mietzahlungen erhalten sie oft keine Belege. Hier handelt es sich dann um steuerfreie Einnahmen für die Betreiber und zugleich um Kosten für die Frauen, die nicht bei einer eigenen Steuererklärung abgesetzt werden können. Die von den Betreibern für das Finanzamt eingezogene tägliche Pauschalversteuerung (Düsseldorfer Verfahren) erhöht den Betreibergewinn, da nur teilweise die Weiterleitung an das Finanzamt erfolgt.

Empfehlungen: Wichtig sind gewerberechtliche Auflagen zur ordentlichen Geschäftsführung: Zuverlässigkeitsprüfung, Einsicht in die Geschäftsunterlagen, Mietverträge, Auskunftspflicht u. v. m. Das „Vermieterprivileg“ ist, wie in einer Veröffentlichung der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes dargelegt, abzuschaffen.12 Soll die Pauschalversteuerung beibehalten werden, dann ist eine direkte Abgaberegelung der Frauen mit dem Finanzamt einzuführen.

Erläuterungen: Der sehr attraktive und steuerfreie Gewinnanreiz im Rotlichtmilieu bildet den Magnet für irreguläre Geschäfte und Kriminalität. Dem Markt irreguläres Geld zu entziehen, bedeutet, den Anreiz für kriminell Handelnde zu reduzieren.

2.3 Kriminelle Geschäfte im legalen Gewand
Problemskizze: Die offensichtlichen Verflechtungen zwischen legalen Rotlichtbetrieben und Menschenhandel/Zuhälterei sind schwer nachzuweisen. Die Betreiber „wissen nichts“ von kriminellem Handeln.

Empfehlungen: Um Betreiber dazu zu bewegen, keine Ausbeutung und Gewalt in ihren Betrieben zuzulassen, sind bestehende rechtliche Möglichkeiten und ordnungspolitische sowie polizeiliche Handlungsspielräume zu nutzen sowie neue rechtliche Grundlagen zu schaffen (Regulierung).

Erläuterungen: Die auf Ausbeutung und Gewalt bzw. Menschenhandel und Opferschutz spezialisierten polizeilichen Kapazitäten sind zu gering; in manchen Regionen fehlen ausgewiesene Zuständigkeiten, Kontrollen finden nicht bzw. kaum statt. Die Polizei kann nur dann von den Frauen als „Freund und Helfer“ wahrgenommen werden, wenn diese die schützende Intention erkennen können. Dafür ist fachlich qualifizierte Präsenz unumgänglich sowie die Einbindung von Sprachkompetenz (Dolmetscher). Die Gefahr besteht darin, dass auch mit einer gewerberechtlichen Regelung von Prostitutionsstätten in den legalen Betrieben Menschenhandel und Zuhälterei stattfinden wird.

3. Die Freier-Nachfrage


3.1 Die Nachfrage

Problemskizze: Die Nachfrage bestimmt den Markt: In Freierchats weisen sich Männer gegenseitig auf die Attraktivität von besonders jungen und unerfahren wirkenden Frauen hin. Die Zwangslage vieler dieser Frauen wird von Freiern ausgeblendet oder auch zum eigenen Vorteil genutzt.

Empfehlungen: Freier sind über Menschenrechtsverletzungen in der Prostitution und die Verantwortung der Nachfrageseite für menschenrechtswidrige Verhältnisse auf dem Markt aufzuklären. Über gesundheitliche Risiken bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr sind sie zu informieren. Mit einer flächendeckenden, auf Bundesebene durchgeführten Kampagne, sollte das Thema faires Freierverhalten öffentlichkeitswirksam und sensibel aufgegriffen werden.

Erläuterungen: Die Erfahrungen, die FIM im Rahmen der bundesweiten Freier-Kampagne „Stoppt Zwangsprostitution“ anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 gemacht hat sowie die seit Jahren bestehende Informationsarbeit belegen, dass Männer erfolgreich angesprochen werden können.13

3.2 Die Gesellschaft
Problemskizze: Die Gesellschaft betont nicht, dass Zwang, Gewalt, Ausbeutung, Erniedrigung und Sexismus inakzeptabel sind. Freier nutzen die prekäre Lage der Frauen in der Armutsprostitution aus, sie fordern Sex ohne Kondom und Dumpingpreise. Neue, mit den Menschenrechten unvereinbare Formen der Prostitution wie Flatrate-Bordelle und Gangbang-Partys sind entstanden.

Empfehlungen: Verschiedene Gesetzesnormen sind zu empfehlen. Zu verbieten sind: die Inanspruchnahme von ausbeuterischer und erzwungener Prostitution, wobei sich die Strafhöhe am Vergewaltigungsstraftatbestand orientieren sollte; Formen der Prostitution, die mit dem Grundrecht der Menschenwürde nicht zu vereinbaren sind; frauenfeindliche und sexistische Prostitutionswerbung.

Erläuterungen: Das Gesetz gegen die Inanspruchnahme von ausbeuterischer und erzwungener Prostitution ist primär als normbildende Maßnahme, als gesellschaftliches Signal zu verstehen; vermutlich wird die faktische strafrechtliche Relevanz gering sein. Es ist davon auszugehen, dass sich hilfsbereite und faire Freier nicht von diesem Gesetz bedroht bzw. diskriminiert fühlen. Eine der Gleichberechtigung und der Menschenwürde verpflichtete Gesellschaft sollte sich gegen sexistische und frauenfeindliche Werbung wehren; dies gilt für alle Wirtschaftsbereiche, also auch für Prostitution.

3.3 Das Dunkelfeld
Problemskizze: Das größte Dunkelfeld auf dem Sexmarkt stellt die Seite der Nachfrage dar. Hier drückt sich gesellschaftliche Doppelmoral aus sowie die fehlende Bereitschaft, sich mit der Rolle und der Verantwortung der Freier auseinanderzusetzen.

Empfehlungen: Erforderlich sind empirische quantitative und qualitative Erhebungen zum Nachfrageverhalten von Männern, insbesondere mit Blick auf die Ausbeutung von Frauen in der Armutsprostitution.

Erläuterungen: Zahlreiche Fragen bleiben ungeklärt: Woher kommt das fehlende Gesundheitsbewusstsein bei den Männern, denn immer häufiger wird Sex ohne Kondom gefordert? Welche Auswirkungen auf die Nachfrage hatte die Streichung der Sittenwidrigkeit im Rahmen des Prostitutionsgesetzes? Welche Rolle spielt die Sexualisierung der Massenmedien für das Freierverhalten? Wie wirkt sich Prostitution auf die Beziehung zwischen den Geschlechtern sowie auf frauendiskriminierende Gesellschaftsstrukturen aus?14


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1 Grundlage dieses Artikels ist die Stellungnahme von Frauenrecht ist Menschenrecht e. V. (FIM) zur Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu „Menschenhandel und Zwangsprostitution in Europa“, Berlin, 21.05.2014 (Ausschussdrucksache 18(17)28).

2 FIM ist seit 1980 tätig als Beratungszentrum für Migrantinnen in prekären Lebenslagen mit Sitz in Frankfurt/M.; auch in der Beratung von Frauen in der Prostitution; bereits seit 1987 Streetwork im Prostitutionsmilieu; seit 1999 Hessische Koordinierungs- und Fachberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel; Initiatorin der bundesweiten Freierkampagne „Stoppt Zwangsprostitution“ in 2006; seit 2007 in Marburg tätig: Beratung für Frauen in der Prostitution; seit 2011 Projekt aufsuchende Sozialarbeit: Straßenprostitution in Frankfurt/M. und verstärkt Streetwork in Bordellen. Weitere Infos unter: www.fim-frauenrecht.de.

3 Um die Probleme pointiert, mit Blick auf das zentrale Thema, darstellen zu können und aus Gründen der Lesbarkeit, wurde in diesem Papier bewusst auf manche sprachliche Differenzierung verzichtet. In dem Artikel wird deshalb nur von „Frauen in der Prostitution“ gesprochen; wissend, dass auch Jungen und Männer in der Prostitution tätig sind. Zudem kommen natürlich nicht alle Frauen in der Armuts­prostitution aus Rumänien und Bulgarien, und die Migration aus Osteuropa zeigt sich nicht nur in Form von Armutsmigration, denn auch qualifizierte Migrantinnengruppen wandern in wohlhabendere westeuropäische Länder ab.

4 Bundesrat-Drucksache 314/10, 11.02.2011, S. 1

5 Vgl. hierzu Bundesverband der Beratungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter e. V. (bufas): Veröffentlichung der Antworten zum Fragenkatalog des BMFSFJ anlässlich der Anhörung „Regulierung des Prostitutionsgewerbes“, 12.06.2014.

6 Siehe hierzu die Zeitschrift Emma im November/Dezember 2013.

7 Vgl. hierzu auch Elvira Niesner: „Frauenrecht ist Menschenrecht – Die historische Entwicklung der Menschenrechte aus frauenspezifischer Sicht“, in: Frauenrecht ist Menschenrecht: 20 Jahre für Frauenrechte, Frankfurt/M., 2001, S. 26.

8 Theoretisches Wissen und praxisnahe Informationen sind erhältlich in der Tagungsdokumentation von FIM: Prostitution – Zwang oder Beruf?, Frankfurt/M., 2006.

9 In den „Eckpunkten eines Gesetzes zum Schutz der in der Prostitution Tätigen (Prostituiertenschutzgesetz, ProstSchG)“ mit Stand vom 14.8.2014 sind Mindeststandards angesprochen. Es wird darin ein Verbot von Prostitutionsgewerben vorgeschlagen, „die aufgrund ihrer Ausgestaltung die Gefährdung der sexuellen Selbstbestimmung oder der Gesundheit von Prostituierten oder anderen Personen befürchten lassen, oder deren Konzept erkennbar einer Ausbeutung von Prostituierten Vorschub leistet (…). Dies gilt z. B. für Flatratebordelle und Rape‐Gang‐Bang‐Partys.“ Siehe den entsprechenden Bericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) an die Fachöffentlichkeit in Folge der Anhörung zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes vom 12.06.2014, S. 3.

10 Siehe Deutsches Institut für Menschenrechte/Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess (KOK)/Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft: Menschenhandel als Menschenrechtsverletzung, Berlin 2013.

11 Die Informationsbroschüre FIM: Prostitution in Frankfurt – Informationen für Frauen und Männer in der Prostitution, Frankfurt/M. 2014, verknüpft diese Themen. Sie liegt in deutscher, bulgarischer und rumänischer Fassung vor.

12 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Reglementierung von Prostitution: Ziele und Probleme – eine kritische Betrachtung des Prostitutionsgesetzes – Ein Gutachten von Joachim Renzikowski, Berlin 2007, S. 54.

13 Der Kampagnenverlauf ist dokumentiert in: FIM (Hrsg.): Kampagne Stoppt Zwangsprostitution, Frankfurt am Main 2007. Siehe auch www.stoppt-zwangsprostitution.de (Stand: 3. Oktober 2014).

14 Diese geschlechtsspezifischen Fragen beschäftigen auch Silvia Kontos: „Sie [die Prostitution, Anmerkung S.N.] ist nicht mehr die Schattenseite der bürgerlichen Ehe- und Liebesverhältnisse (...), sondern sie wird (für Männer) zur leicht zugänglichen Entlastung von den wachsenden Herausforderungen und Risiken des neoliberalen Alltags (…). Es geht für Freier immer weniger um die Entlastung von den drängenden Forderungen der ‚sexuellen Natur‘, sondern um die von gestiegenen sozialen Ansprüchen“. Siehe dies.: Öffnung der Sperrbezirke – Zum Wandel von Theorien und Politik der Prostitution, Königstein/Taunus 2009, S. 390.



Die Autorin

Elvira Niesner ist Leiterin des Beratungs- und Informationszentrums für Migrantinnen „FIM – Frauenrecht ist Menschenrecht e. V.“, Frankfurt/M.