Das Konzept der Intersektionalität und seine Bedeutung für die Menschenrechte
Eva Kalny: Einleitung
Am 28. September 2020 befasste sich der UN-Menschenrechtsrat im Rahmen seiner 45. Sitzung mit dem Thema „Gender und Diversität: Die Stärkung der intersektionalen Perspektive in der Arbeit des Menschenrechtsrats“ (Human Rights Council 2020: 140 f.). Michelle Bachelet, Hochkommissarin für Menschenrechte, sowie Vertreter_innen von UN-Gremien, NGOs und Staaten tauschten sich über die Notwendigkeit einer intersektionalen Perspektive insbesondere auch im Hinblick auf die Bewältigung der Covid-19-Pandemie aus (Geneva Centre for Human Rights Advancement and Global Dialogue 2020). Bereits im April verwies die Interamerikanische Menschenrechtskommission in ihrer Resolution 1/20 Pandemie und Menschenrechte in den Amerikas (CIDH 2020) mehrfach auf die Notwendigkeit einer intersektionalen Analyse, um den negativen Auswirkungen der Pandemie auf die bürgerlichen und politischen, aber auch die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Rechte wirksam entgegentreten zu können.
Das von Kimberlé Crenshaw formulierte Konzept der Intersektionalität, des Zusammenwirkens von diversen Achsen der Unterdrückung, ist im aktuellen Kontext der Pandemie weit mehr als eine erfolgreiche feministische Theorie, die in universitären Kreisen Anklang findet (Davis 2008). Denn die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie fließen so durch jene Achsen der Unterordnung, dass in überproportionaler Weise „die Leben einiger Frauen […] verloren werden“ (Crenshaw 2000: 6). Wer strukturell von Gesundheits- und Sozialsystemen ausgeschlossen und in Präventionsstrategien nicht mitbedacht wird, ist dem Virus schutzlos ausgeliefert.
Der Weg zur strukturellen Verankerung der Intersektionalität in internationalen Menschenrechtsdokumenten und Evaluierungsmechanismen ist lange und noch nicht abgeschlossen. Ein wichtiger früher Meilenstein war das UN Expert Group Meeting on Gender and Racial Discrimination im November 2000 in Zagreb, Kroatien. Für dieses erstellte Kimberlé Crenshaw ein Hintergrundpapier und diskutierte es mit Expertinnen wie der indischen Dalit-Aktivistin Ruth Manorama, die später den Right Livelihood Award erhalten sollte, oder Pragna Patel, der Gründerin und Leiterin der britischen Southall Black Sisters. Ziel des Treffens war es, ein Papier zu erarbeiten, das die Notwendigkeit der Inklusion einer intersektionalen Perspektive im Abschlussdokument der Weltkonferenz gegen Rassismus, rassistische Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz (WCAR) in Durban, Südafrika, darlegen sollte. Tatsächlich wurden in der Folge Genderaspekte in die Abschlusserklärung der WCAR aufgenommen.
Das von Kimberlé Crenshaw vorgelegte Paper nimmt mehrere spätere Kritikpunkte und Diskussionen vorweg. Die beschriebenen Beispiele intersektional wirkmächtiger Achsen der Ungleichheit inkludieren ebenso Kaste wie postkoloniale nationale und internationale Machtstrukturen. Sie verweisen damit auf die Flexibilität eines Modells, das handlungsorientiert konzipiert ist. Die von der Autorin angedeutete sozialwissenschaftliche Mehrebenenanalyse wurde auch im deutschsprachigen Raum weiterentwickelt. Häufig stehen national verankerte strukturelle Ungleichheiten im Zentrum dieser Analyse. Die Wirkmächtigkeit globaler Machtverhältnisse wie die im Paper angeführten Strukturanpassungsprogramme, auf die bereits das Abschlussdokument der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking Bezug nimmt, wird vorrangig im Kontext kritischer Perspektiven auf neoliberale Globalisierung (z.B. Hess/Lenz 2001) diskutiert. Der Aufruf, Intersektionalität „translokal weiterzudenken“ (Roth/Boatca 2016: 204), entspricht der Intention des vor 20 Jahren von Kimberlé Crenshaw vorgelegten Papers; ihm soll durch seine erstmalige Zugänglichmachung in deutscher Sprache Nachdruck verliehen werden.
Die vorliegende leicht gekürzte Übersetzung des Originaldokuments aus dem Jahr 2000 verwendet die vom Deutschen Institut für Menschenrechte gewählten Übersetzungen für Institutionen und Abkommen. Der Begriff race wurde – in Übereinstimmung mit einem entsprechenden Verweis von Kimberlé Crenshaw (2000: 3, Fn. 1) – je nach Kontext mit rassialisiert oder rassistisch übersetzt. Wo dies nicht möglich ist, wurde der englische Begriff race übernommen. Dies erkennt die Kritik am deutschen Rassebegriff (z.B. Arndt 2011) und die aktuellen Vorstöße zur Streichung des Begriffs aus dem Grundgesetz an und möchte gleichzeitig Wertschätzung für die Wichtigkeit des Begriffs für die Schwarze Bürgerrechtsbewegung und Schwarze Feministinnen aus den USA und damit den Wurzeln des Konzepts Intersektionalität ausdrücken. Gerade auch für die Analyse transnationaler intersektionaler Verflechtungen ist es von zentraler Bedeutung, race als konstituierendes Konzept europäischen Kolonialismus und europäischer Moderne anzuerkennen (Lewis 2013). Die Verwendung des kursiv gesetzten englischen Begriffs race soll so die soziale Konstruktion von „Rasse“ analog wie Gender in Bezug auf das ebenfalls biologistische Konzept Sex ausdrücken.
Kimberlé Williams Crenshaw: Geschlechtsbezogene Aspekte rassistischer Diskriminierung im internationalen Menschenrechtsdiskurs
Weder die geschlechtsspezifischen Aspekte rassistischer Diskriminierung noch die rassistischen Aspekte geschlechtsspezifischer Diskriminierung werden in Menschenrechtsdiskursen ausreichend erfasst. Aufbauend auf der zunehmenden Anerkennung, dass Diskriminierung aufgrund von Rassismus und Gender nicht einander wechselseitig ausschließende Phänomene sind, legt dieses Hintergrundpapier ein provisorisches Gerüst vor, welches unterschiedliche Formen der Benachteiligung identifiziert und den einander wechselseitig beeinflussenden Auswirkungen von rassistischer und sexistischer Diskriminierung gerecht wird. Das Dokument schlägt ein provisorisches Verfahren vor, um jene Anlässe besser zu identifizieren, bei denen solch eine interaktive Diskriminierung stattgefunden hat, und es hält fest, dass die Verantwortung, sich den Gründen und Konsequenzen solcher Diskriminierung zu widmen, von allen Menschenrechtsinstitutionen umfassend geteilt werden muss.
1. Einleitung und Überblick
Inspiriert von dem Wunsch, sich der weiterhin weltweit bestehenden Ungleichheit von Frauen zu widmen, haben Frauen in den letzten Jahrzehnten […] wichtige Fortschritte gemacht, um eine größere Inklusion von frauen- und genderbezogenen Menschenrechtsverletzungen in Menschenrechtsdiskursen zu erreichen. Auf formaler Ebene ist das Prinzip der Geschlechtergleichheit in der Charta der Vereinten Nationen und dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) näher erläutert. Diese Garantien wurden u. a. […] auf der UN Welt[bevölkerungs]konferenz in Kairo [1994], [der 2. UN Menschenrechtskonferenz] 1993 in Wien und [der 4. UN Weltfrauenkonferenz 1995] in Peking präziser ausformuliert.
Diese Verbesserungen stellen tatsächliche konzeptuelle Fortschritte in der Erweiterung des Rahmens von Menschenrechten über ihre ursprünglichen Parameter hinaus dar. Diese marginalisierten jene Bereiche an Menschenrechtsverletzungen, die geschlechtsspezifisch Frauen betreffen. Der Erfolg dieser Bemühungen beruht auf einem fundamentalen Kurswechsel in den Perspektiven der Relevanz von Geschlechterdifferenz […]. Obwohl die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte explizit den Genuss von Menschenrechten ohne Unterscheidung des Geschlechts garantiert, wurden die Rechte von Frauen und die spezifischen Bedingungen, unter denen Frauen an Menschenrechtsverletzungen leiden, in der Vergangenheit […] in einem Menschenrechtssystem, das universelle Anwendung anstrebt, marginalisiert. Dieser Universalismus basierte zutiefst auf der Erfahrung von Männern. Während Frauen Menschenrechte formal garantiert wurden, wurde ihr Schutz immer dann kompromittiert, wenn die Erfahrungen von Frauen von jenen der Männer abwichen. […] [W]enn Frauen […] im Privatleben geschlagen wurden oder ihnen unter Hinweis auf Traditionen die Mitsprache bei Entscheidungsfindungen verweigert wurde, dann ließen ihre Unterschiede zu Männern diese Gewalt und diesen Missbrauch peripher für zentrale Menschenrechtsgarantien werden.
Als Folge der Aktivitäten von Frauen […] konnte Konsens darüber erzielt werden, dass Menschenrechte für Frauen nicht auf jene Bereiche eingeschränkt werden sollten, in denen ihre Probleme, Notlagen und Vulnerabilitäten jenen gleichen, unter denen Männer leiden. Der erweiterte Bereich von Frauenmenschenrechten ist nirgendwo evidenter als in den Gender-Mainstreaming-Mandaten der Konferenzen von Wien und Peking. Tatsächlich kann so Differenz nicht länger als Rechtfertigung dienen, Genderanalyse aus Menschenrechtsdiskursen auszuschließen. Vielmehr basiert die Logik von Gender-Mainstreaming auf der Wichtigkeit der Differenz per se: Da Geschlecht von Bedeutung ist, müssen seine differenzierenden Effekte in allen Menschenrechtsbelangen analysiert werden. Während also in der Vergangenheit die Unterschiede zwischen Frauen und Männern als Rechtfertigung für die Marginalisierung von Frauenrechten und für Geschlechterungleichheit im Allgemeinen dienten, verweisen diese Differenzen nun auf die Verantwortung aller Menschenrechtsinstitutionen, eine Genderanalyse in ihre Arbeit mitaufzunehmen.
In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist auch das Prinzip der Nichtdiskriminierung aufgrund von race verankert. Diese Garantie wurde im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung (CERD) vertieft und umfasst ebenso die Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Abstammung, nationaler oder ethnischer Herkunft. […] So wie aber im Fall von Genderdiskriminierung verhindern Vorstellungen von Unterschieden auch mögliche Ausdehnungen von race-basierten Menschenrechtsgarantien auf jene Kontexte, in denen Diskriminierung mehr ist als die formale, de jure Verweigerung von bürgerlichen und politischen Rechten. Diskriminierung, die außerhalb dieses Standardmodells fällt, kann manchmal als „zu anders“ wahrgenommen werden als apartheidsähnliche Erfahrungen, um als Menschenrechtsverletzung zu gelten. Auf Weltkonferenzen wurden Anstrengungen unternommen, den Umfang des Rechts auf Nichtdiskriminierung im Bereich von race ebenso wie von Gender zu klären, und solch eine Gelegenheit wird auch wieder auf der kommenden Weltkonferenz gegen Rassismus, rassistische Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz (WCAR) in Durban, Südafrika, bestehen. Bis jetzt gibt es kein Äquivalent zu den in Wien und Peking beschlossenen Verpflichtungen zum Gender-Mainstreaming im Bereich rassistischer Diskriminierung.
Die […] Überschneidung der spezifischen Entwicklungen von Menschenrechtsaktivitäten im Bereich von Gender und Rassismus – einerseits der Abschluss einer jahrzehntelangen Strategie, die im Gender-Mainstreaming kulminierte, und andererseits der Beginn neuer Strategien, um die Verpflichtung zur Eliminierung rassistischer Diskriminierung und damit verbundener Intoleranzen zu vertiefen – schafft eine Konstellation, die einzigartig empfänglich für Bestrebungen ist, sich mit der Interaktion zwischen rassistischer und geschlechtsbezogener Diskriminierung auf zumindest zwei wichtigen Wegen zu befassen. Nun, da sich Nationen und NGOs auf die kommende WCAR vorbereiten, lenkt erstens die Verpflichtung zum Gender-Mainstreaming, die alle Gremien und Institutionen der UNO betrifft, spezielle Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit, spezifische Verfahren und Analysen zu entwickeln, um die vergeschlechtlichten Dimensionen von Rassismus in Angriff zu nehmen. Da rassistische Diskriminierung häufig in dem Sinne vergeschlechtlicht ist, dass Frauen Diskriminierungen und andere Menschenrechtsverletzungen in einer Weise erfahren, die Männer nicht erleben, lenkt das Mandat des Gender-Mainstreamings die Aufmerksamkeit auf die Formen, in denen Frauen und Männer unterschiedlich von rassistischer Diskriminierung und damit zusammenhängenden Intoleranzen betroffen sind. Gender-Mainstreaming im Kontext der Analyse von Rassismus […] erlaubt auch ein besseres Verständnis dafür, wie Gender die Diskriminierung formt, die Männern widerfährt.
Zweitens gilt die Logik des Gender-Mainstreamings, also die Aufmerksamkeit für Differenzen im Sinne einer besseren Inklusion, ebenso für Unterschiede innerhalb der Kategorie Frauen wie zwischen Frauen und Männern. […] Auch, wenn […] es stimmt, dass alle Frauen in irgendeiner Weise die Last der geschlechtsspezifischen Diskriminierung tragen, so sind doch gleichzeitig andere Faktoren, die sich mit der sozialen Identität von Frauen verbinden, wie zum Beispiel Klasse, Kaste, race, Hautfarbe, Ethnizität, Religion, nationale Herkunft und sexuelle Orientierung, „Unterschiede, die einen Unterschied machen“ in der Art und Weise, wie Frauen Diskriminierung erfahren. Diese unterscheidenden Elemente können Probleme und Vulnerabilitäten schaffen, die einzigartig sind für eine spezifische Untergruppe von Frauen, oder die manche Frauen im Vergleich zu anderen überproportional betreffen. So wie geschlechtsspezifische Verwundbarkeiten von Frauen nicht mehr als Rechtfertigung herangezogen werden können, um Frauen allgemein den Schutz ihrer Menschenrechte vorzuenthalten, so dürfen auch „Unterschiede unter Frauen“ nicht dazu führen, dass manche Menschenrechtsprobleme von Frauen marginalisiert werden oder ihnen unter dem vorherrschenden Menschenrechtsregime der gleiche Schutz vorenthalten wird. Sowohl die Logik des Gender-Mainstreamings als auch der aktuelle Fokus auf Rassismus und damit verbundenen Formen der Intoleranz verweisen auf die Notwendigkeit, race und damit verbundene Unterschiede in die genderbasierte Arbeit von Menschenrechtsinstitutionen zu integrieren.
Sicherzustellen, dass alle Frauen vom sich ausdehnenden Rahmen des genderbasierten Menschenrechtsschutzes bedient werden, erfordert Aufmerksamkeit dafür, wie sich Geschlecht mit einer Bandbreite anderer Identitäten überschneidet und wie diese Überschneidungen zur einzigartigen Verwundbarkeit unterschiedlicher Gruppen von Frauen beitragen. Da die spezifischen Erfahrungen von ethnisiert oder rassialisiert definierten Frauen oft in den breiteren Kategorien von race oder Gender verschleiert werden, ist der volle Umfang ihrer intersektionalen Vulnerabilität nicht bekannt und muss die […] Analyse von unten her aufgebaut werden. Trotz des großen Mangels an einfach zugänglicher Information über rassistisch marginalisierte Frauen auf der ganzen Welt ist es doch möglich, die Diskussion über die Bandbreite an Diskriminierung von Frauen mittels provisorischer Modelle, die ihre multiplen Identitäten erfassen, zu vereinfachen.
Zu diesem Zweck wird das vorliegende Paper zuerst mehrere Wege vorschlagen, um zu verstehen, wie die einzigartigen Erfahrungen von ethnisierten oder rassialisierten Frauen in standarisierten Rechtsdiskursen zeitweise verschleiert oder marginalisiert werden. Wenn die spezifischen Formen der Genderdiskriminierung nicht gut verstanden werden, dann sind Interventionen, die die Verletzungen von Menschenrechten von Frauen unterbinden sollen, weniger effektiv. Für jene, die die Bedürfnisse marginalisierter Frauen artikulieren und stillen möchten, ist es daher nützlich, die unterschiedlichen Formen, in denen race- und genderbezogene Vulnerabilitäten einander kreuzen, zu antizipieren. Dieses Paper versucht einen Teilkatalog solcher Vulnerabilitäten anhand ausgewählter Beispiele zu erstellen. Diese Beispiele bilden die Grundlage für ein vorgeschlagenes Verfahren, das dazu dienen kann, jene Fälle zu identifizieren, in denen Genderdiskriminierung durch rassistische Diskriminierung erweitert oder verstärkt wird, oder umgekehrt. Zum Abschluss werden Empfehlungen vorgelegt […]. NGOs und andere Institutionen müssen mit eingebunden werden in gemeinsame Bestrebungen, die Genderimplikationen von Rassismus, Xenophobie und damit verbundenen Intoleranzen zu untersuchen, sowie in die Bemühungen, größeres Bewusstsein für die Implikationen von race, Ethnizität, Hautfarbe und anderen Faktoren zu entwickeln, die einander wechselweise verstärkende Menschenrechtsverletzungen bewirken […].
2. Intersektionale Unsichtbarkeit: Die Bedeutung von intragruppalen Unterschieden überdenken
[…] Wenn bestimmte Probleme als ein Ausdruck von geschlechtsspezifischer Unterordnung von Frauen oder rassistischer Unterordnung bestimmter Gruppen kategorisiert werden, dann hinterlassen die Zwillingsprobleme von Über-Inklusion und Unter-Inklusion ihre Spuren.
Der Begriff Über-Inklusion soll jene Fälle bezeichnen, in denen Probleme oder Zustände, die eine Gruppe an Frauen spezifisch oder überproportional betreffen, als Frauenprobleme reklamiert werden. Es handelt sich um Über-Inklusion, wenn die Aspekte der Umstände, die es zu einem intersektionalen Problem machen, in einem Genderbezugssystem verortet werden, ohne den Versuch zu machen, die Rolle von Rassismus oder anderen Formen der Diskriminierung anzuerkennen, die dazu beigetragen haben können. Das Problem der Über-Inklusion besteht darin, dass das volle Ausmaß der Probleme, die das Produkt von gleichzeitig rassistischer und Gender-Unterordnung sind, einer effektiven Analyse entzogen wird. In der Folge bleiben die Bemühungen, die betreffenden Umstände oder Misshandlungen zu beenden, mit großer Wahrscheinlichkeit so zahnlos wie das Verständnis, auf dem die Intervention beruht.
1. Diskurse über Frauenhandel sind ein Beispiel dafür. Wenn man darauf achtet, welche Frauen gehandelt werden, dann wird der Bezug zu ihrer rassistischen und sozialen Marginalisierung offensichtlich. Dennoch wird das Problem des Frauenhandels häufig nur mit einem Gender-Bezugssystem erfasst, ohne Rassismus und andere Formen der Unterordnung anzusprechen […].
2. Bemühungen zur Lösung solcher Situationen müssen auf einem umfassenden Problemverständnis beruhen und, wann immer relevant, seine rassialisierten Dimensionen mit umfassen. […] Eine vollständig integrierte Analyse von Menschenhandel würde bedeuten, alle Faktoren, die zur Vulnerabilität von Frauen in diesem Kontext beitragen, sowohl in die Analyse des Problems als auch in die Empfehlungen, die zu seiner Lösung entwickelt werden, zu inkludieren.
Ein zum Problem der Über-Inklusion paralleles Problem ist jenes der Unter-Inklusion. Eine Genderanalyse kann unter-inklusiv sein, wenn eine Untergruppe von Frauen ein Problem teilweise deshalb erfährt, weil sie Frauen sind, dieses Problem aber nicht als geschlechtsspezifisch wahrgenommen wird, weil es nicht der Erfahrung der Frauen aus der dominanten Gruppe entspricht. […] Häufig scheint es so zu sein, dass ein Zustand oder ein Problem, das spezifisch für Frauen innerhalb einer rassialisierten oder ethnischen Gruppe ist, und das aufgrund seiner spezifischen Form Männern eher nicht widerfährt, nicht als Problem rassistischer oder ethnischer Unterordnung wahrgenommen wird. Hier liegt das Problem darin, dass die vergeschlechtlichte Dimension dieses Problems es als Angelegenheit von Rassismus und Ethnizität unsichtbar macht. Umgekehrt ist dies kaum der Fall; rassistische Diskriminierung, die funktionell Männer trifft, gewährleistet ihre Aufnahme in die Kategorie rassistische Diskriminierung, auch wenn Frauen davon nicht betroffen sein mögen.
Als Veranschaulichung von Unter-Inklusion mag die weltweit verbreitete Sterilisation von marginalisierten Frauen dienen. In den USA zum Beispiel wurden Tausende Puerto Ricanerinnen und Afroamerikanerinnen ohne ihre Kenntnis und ohne ihr Einverständnis sterilisiert. Diese Misshandlungen fanden insbesondere in den 1950ern statt, aber auch in jüngeren Zeiten. Obwohl Puerto Ricanerinnen und Afroamerikanerinnen disproportional zu Opfern der Verweigerung reproduktiver Rechte basierend auf race und Klasse wurden, wird dieser Angriff auf fundamentale Menschenrechte selten als eines der ungeheuerlichsten Beispiele rassistischer Diskriminierung anerkannt […]. Erzwungene Sterilisierung von Frauen wird weltweit nicht als Rassismus thematisiert, auch wenn eine genaue Analyse zeigt, dass meist race, Klasse und andere „Risikofaktoren“ darüber entscheiden, welche Frauen solche Misshandlungen eher erleiden als andere. […]
Natürlich gibt es auch Fälle, in denen die spezifische Last und die Misshandlungen, die einzigartig für Frauen sind, bereitwillig als Problem ethnischer Unterordnung interpretiert werden, doch diese Anerkennung erfolgt häufig dann, wenn das betreffende Problem als ein Angriff auf die gesamte Gruppe betrachtet wird. Sexualisierte Gewalt, die von Personen außerhalb der Gruppe begangen wird, ist dafür ein typisches Beispiel.
So gingen etwa die Genozide in Ruanda und Bosnien mit ethnisch motivierten Vergewaltigungen und Verstümmelungen von Frauen einher. Diese Misshandlungen wurden sowohl als Angriffe gegen die Ehre der Gruppe, begangen durch die Erniedrigung von Frauen, als auch natürlich gegen die Frauen selbst durchgeführt. […] Frauen sind spezifische Ziele für diese Art von Übergriffen, weil sie oft als Repräsentantinnen sowohl der symbolischen Ehre der Gruppe wie auch als genetische Gatekeeperinnen zu ihrer Community angesehen werden. Obwohl der in diesen Übergriffen repräsentierte Angriff auf die Gemeinschaft [...] als ethnischer Genozid beschrieben wurde, signalisiert dieser Aufschrei doch keine Sorge um deren Opfer, von denen viele nun als unreine […] Frauen verachtet werden.
Zusammenfassend ist es bei unter-inklusiven Zugängen zu Diskriminierung der Unterschied, der ein Set an Problemen unsichtbar macht, während es bei über-inklusiven Zugängen der Unterschied selbst ist, der unsichtbar gemacht wird.
[…] Um sich eine Diskriminierung als intersektionales Problem zu vergegenwärtigen, müssen die rassistischen und vergeschlechtlichten Dimensionen des Hintergrunds gänzlich in den Vordergrund gestellt werden als Faktoren, die zu einem subordinierenden Ergebnis beitragen.
Ein Beispiel mag die Erfassung der Erfahrung von Dalit-Frauen in Indien sein, die an Brunnen und anderen öffentlichen Plätzen geschlagen und misshandelt wurden. Diese Übergriffe passieren häufig dann, wenn diese Frauen ihren vergeschlechtlichten Verantwortungen des Wasserholens in einem Kontext nachkommen, in denen ihre angebliche Unberührbarkeit sie verwundbar macht gegenüber der Gewalt von Mitgliedern höherer Kasten […]. Obwohl diese Gewalt schnell als Kastendiskriminierung interpretiert wird, ist sie eine intersektionale: Frauen müssen eine komplexe Konstellation an Umständen bewältigen, in denen vergeschlechtlichte Verantwortungen sie in die Situation bringen, die Konsequenzen von Kastendiskriminierung im öffentlichen Raum ertragen zu müssen.
Die Wichtigkeit dies zu demaskieren und einen Rahmen zu entwickeln, der intersektionale Diskriminierung aufdeckt und analysiert, liegt nicht nur im allgemeinen Wert einer präziseren Beschreibung der gelebten Erfahrung von rassialisierten Frauen, sondern vielmehr darin, dass Interventionen, die auf einem partiellen und manchmal auch verzerrten Verständnis der Lagen von Frauen basieren, mit großer Wahrscheinlichkeit ineffektiv und vielleicht sogar kontraproduktiv sind. Nützliche Interventionen und Schutz können nur auf der Basis einer genaueren Untersuchung der variierenden Dynamiken, die die Subordination rassialisierter Frauen formen, entwickelt werden.
Nach dieser Darlegung unterschiedlicher Gründe, warum die intersektionale Unterordnung von rassialisierten Frauen häufig unzureichend wahrgenommen wird, wenden wir uns nun Überlegungen über die unterschiedlichen Formen zu, wie durch die Verbindung von Gender, race, Hautfarbe, Ethnizität oder anderen Achsen der Unterordnung die Leben einiger Frauen geformt, beschränkt und manchmal auch verloren werden.
3. Intersektionalität definieren: eine metaphorische Konzeptualisierung
Die Verbindung multipler Systeme der Unterordnung wurden […] als zusammengesetzte Diskriminierung, Mehrfachbelastung oder doppelte und dreifache Diskriminierung beschrieben. Intersektionalität ist eine Konzeptualisierung des Problems, die versucht, sowohl die strukturellen als auch die dynamischen Konsequenzen der Interaktion von zwei oder mehr Achsen der Unterordnung zu erfassen. Es geht spezifisch um die Form, in der Rassismus, Patriarchat, Klassenunterdrückung und andere diskriminierende Systeme grundlegende Ungleichheiten schaffen, die die jeweiligen Positionen von Frauen, rassialisierten Menschen, Ethnizitäten, Klassen usw. strukturieren. Es geht auch um die Art und Weise, in der spezifische Handlungen und Politiken Belastungen schaffen, die entlang dieser Achsen verlaufen, welche die Dynamiken oder aktiven Aspekte von Entmächtigung bilden.
Um die Metapher einer Intersektion oder Kreuzung zu verwenden, so verstehen wir in einem ersten Schritt die unterschiedlichen Achsen der Macht – also race, Ethnizität, Gender oder Klasse – als Durchfahrtsstraßen, die das soziale, wirtschaftliche und politische Terrain strukturieren. Es sind diese Straßen, durch die entmächtigende Dynamiken reisen. Diese Durchfahrtsstraßen werden manchmal als unterschiedliche und einander wechselseitig ausschließende Achsen der Macht interpretiert, so zum Beispiel Rassismus als verschieden vom Patriarchat und dieses als verschieden von Klassenunterdrückung. Tatsächlich aber überlappen sich diese Systeme häufig und überschneiden einander, und sie schaffen damit komplexe Kreuzungen, an denen zwei, drei oder vier dieser Achsen aufeinandertreffen. Rassialisierte Frauen sind häufig in einem Raum positioniert, in dem Rassismus oder Xenophobie, Klasse und Gender aufeinandertreffen. Sie sind daher anfällig für Verletzungen durch den intensiven Verkehr, der durch diese Kreuzungen fließt. Rassialisierte Frauen und andere mehrfach belastete Gruppen, die durch ihre spezifischen Identitäten an diesen Kreuzungen verortet sind, müssen den „Verkehr“, der durch diese Kreuzungen fließt, überwinden. Das ist dann eine besonders gefährliche Herausforderung, wenn der Verkehr gleichzeitig aus mehreren Richtungen fließt. (…) Dies sind die Kontexte, in denen intersektionale Verletzungen eintreten – Nachteile oder Bedingungen interagieren mit bereits existierenden Vulnerabilitäten und erzeugen so ein spezifisches Ausmaß der Entmachtung.
4. Kategorisierung der intersektionalen Erfahrung: ein provisorischer Rahmen
Während es mittlerweile anerkannt ist, dass Frauen Sexismus nicht immer in der gleichen Weise erfahren, und dass Männer und Frauen Rassismus nicht in der gleichen Weise erleben, entwickelt sich das Projekt der Erfassung der spezifischen Umstände, in denen Erfahrungen von Rassismus und Sexismus zusammentreffen, auf globaler Ebene nur schleppend. In der Folge wird ein provisorischer Rahmen vorgelegt, um die Katalogisierung und Organisation des existierenden Wissens über die unterschiedlichen Weisen, in denen Intersektionalität die Leben von Frauen auf der ganzen Welt formt, zu unterstützen. Ziel […] ist es, eine Sprache vorzuschlagen, die Menschen in Bezug zu ihren eigenen Erfahrungen setzen können. Dieser Rahmen dient auch zur Illustration der Notwendigkeit, bereits existierende konzeptuelle Parameter der bereits bestehenden Diskurse der [Menschenrechts-]Verträge zu erweitern. Wie diese Topologien veranschaulichen, besteht das intersektionale Problem nicht nur darin, dass eine wenig offensichtliche Form von Diskriminierung nicht vollständig erfasst wird. Vielmehr wird durch die mangelnde Erfassung intersektionaler Verwundbarkeit von marginalisierten Frauen und in manchen Fällen auch marginalisierten Männern eine ganze Bandbreite an Menschenrechtsverletzungen verschleiert.
Die am einfachsten zu erkennenden Beispiele intersektionaler Unterdrückung sind häufig die tragischsten: ethnisch oder rassistisch begründete Gewalt gegen Frauen. Diese Gewalt kann […] insofern als intentionale intersektionale Unterordnung interpretiert werden, als der Rassismus und der Sexismus, die sich in Vergewaltigungen manifestieren, widerspiegeln, wie Frauen basierend auf race oder Ethnizität Ziel einer genderbasierten Verletzung werden. [Die] Tragödien in Bosnien, Ruanda, Burundi und dem Kosovo veranschaulichen in trauriger Weise, dass sich die lange Geschichte der ethnisch basierten Gewalt an Frauen nicht auf eine weit entfernte Vergangenheit beschränkt. Doch […] manifestiert sich diese spezielle Vulnerabilität […] auch in anderen Kontexten.
1. Den tragischen Vorfällen rassistisch motivierter Vergewaltigungen geht manchmal eine andere Manifestation intersektionaler Unterdrückung voraus, die Verbreitung explizit rassialisierender und vergeschlechtlichter Propaganda gegen ethnisch markierte Frauen mit dem Bestreben, sexuelle Aggression gegen sie zu begründen. Dies wurde explizit in Bosnien und Ruanda zum Einsatz gebracht, wie Human Rights Watch (HRW) über beide Regionen berichtete.
2. Nicht nur Frauen sind Opfer dieser intersektionalen Unterordnung. Rassialisierte Genderstereotype werden auch gegen Männer verwendet […]. In den USA zum Beispiel ging den Lynchmorden an afroamerikanischen Männern häufig rassistische Propaganda voran […].
3. Selbst wenn sexualisierte Propaganda nicht in sexueller Gewalt in großem Umfang kulminiert, gibt es doch genug Gründe davon auszugehen, dass solch eine gezielte Propaganda gegen Frauen in zahlreichen anderen Weisen zerstörerisch ist und daher ein weiteres Beispiel intersektionaler Unterdrückung darstellt. Propaganda gegen arme und rassialisierte Frauen […] kann die Neigung vieler Menschen verstärken, ihre Glaubwürdigkeit anzuzweifeln, wenn sie versuchen, Schutz von Autoritäten zu erhalten. HRW zufolge haben Dalit-Frauen, die versuchen, Anklagen gegen beschuldigte Vergewaltiger einzubringen, insbesondere dann wenig Chancen, dass diese strafrechtlich verfolgt werden, wenn die Täter höheren Kasten angehören. In den USA sind es Afroamerikanerinnen und Lateinamerikanerinnen, die die wenigsten Chancen haben, dass ein ihrer Vergewaltigung beschuldigter Mann strafrechtlich verfolgt und inhaftiert wird. Studien legen nahe, dass die rassialisierte Identität des Opfers signifikanten Einfluss auf solche Ergebnisse hat, und […] dass Geschworene durch sexualisierte Propaganda so beeinflusst sein können, dass sie annehmen, rassialisierte Frauen hätten auch unter Gegebenheiten konsensuellen Geschlechtsverkehr, wo sie dies bei Opfern, die nicht einer rassialisierten Minderheit angehören, bezweifeln würden.
4. Sexualisierte Propaganda, die auf rassialisierte Frauen abzielt, kann auch zu deren politischer Unterordnung führen, insbesondere in jenen Bereichen, die reproduktive Politiken und die soziale Wohlfahrt betreffen. Rechtfertigungen für Politiken, die die reproduktiven Rechte von armen und Minderheitenfrauen beeinträchtigen, wie Sterilisierungen, erzwungene Geburtenkontrolle und die Auferlegung von Bußgeldern oder anderen Mitteln zur Abschreckung gegen das Kinderkriegen, bauen manchmal auf präexistierenden Bildern über arme und ethnisierte Frauen als sexuell leichtfertig auf. Es kann hilfreich sein, dies als intersektionale Diskriminierung zu erfassen. Denn die unterordnenden Aspekte dieser Bilder basieren auf Geschlechterstereotypen, die Frauen aufgrund ihres vermuteten Sexualverhaltes und rassistischer und ethnischer Stereotype diskriminieren […]. Die Folge für Frauen an der Kreuzung dieser Stereotypen ist, dass sie besonders verwundbar sind für sanktionierende Maßnahmen, die im Wesentlichen darauf beruhen, wer sie sind.
5. Gezielte Akte intentionaler Diskriminierung sind nicht auf sexuelle Gewalt beschränkt. In der Arbeit, Bildung und anderen Bereichen sind rassialisierte Frauen manchmal von Diskriminierung und Belastungen betroffen, weil sie weder Männer noch Mitglieder der racially oder ethnisch dominanten Gruppe der Gesellschaft sind. […] Sie sind aufgrund von Rassismus von solchen Jobs ausgeschlossen, die für Frauen vorgesehen sind, und sie sind aufgrund ihres Geschlechts von solchen Jobs ausgeschlossen, die für Männer reserviert sind. […]
6. In manchen Belegschaften, insbesondere jene, die nach Gender und race segregiert sind, können rassialisierte Frauen von dieser wechselseitig verstärkenden Diskriminierung betroffen sein: wenn zum Beispiel Frauen grundsätzlich für Büroarbeiten angestellt werden oder für Positionen, die Interaktionen mit Kund_innen vorsehen, und rassialisierte oder ethnische Minderheiten für Industriearbeiten oder andere Formen gendersegregierter Arbeit. In solchen Fällen erfahren rassialisierte Frauen Diskriminierung, da die für Frauen vorgesehene Arbeit nicht als geeignet für rassialisierte Frauen und die für Männern vorgesehene Arbeit als ungeeignet für Frauen betrachtet wird.
7. Es gibt auch Fälle, in denen die Überlappung von rassistischer und genderbasierter Exklusion auch die Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten für Männer einschränkt. Wenn Arbeiten in der Industrie oder andere männerspezifische Arbeitsmöglichkeiten eingeschränkt sind und die verbleibende Arbeit als Frauenarbeit verstanden wird, dann können auch Männer wechselseitig verstärkende Diskriminierung erfahren: Die Arbeit, die Frauen offensteht, gilt als nicht geeignet für Männer, und die Arbeit, die privilegierteren Männern offensteht, ist für rassistisch untergeordnete Männer nicht zugänglich.
8. Auch können Frauen einer bestimmten rassialisierten Identität von Bildungsmöglichkeiten spezifisch exkludiert werden, oder sie haben in geringerem Ausmaß Zugang als Männer ihrer rassialisierten Gruppe oder Frauen der Elite. Aktuelle Berichte legen nahe, dass albanische Mädchen in Bosnien spezifisch exkludiert sind von Bildung. In Indien sind Dalit-Mädchen signifikant weniger wahrscheinlich gebildet und es gibt unter ihnen extrem hohe Dropout Raten in den Schulen.
9. Eine etwas andere Manifestierung intersektionaler Unterordnung könnte als strukturelle intersektionale Unterordnung bezeichnet werden. Dieses Phänomen bezeichnet eine große Variation an Umständen, in denen sich Politiken mit Hintergrundstrukturen der Ungleichheit überschneiden und eine sich wechselseitig verstärkende Belastung für besonders vulnerable Frauen schaffen. In bestimmten Fällen findet vergeschlechtliche Diskriminierung in einem Kontext statt, in dem manche Frauen bereits aufgrund von Rassismus und/oder Klassismus vulnerabel sind. In anderen Fällen finden eine Politik, eine Praxis oder individuelle Handlungen auf der Basis von race, Ethnizität oder anderen Faktoren in einem Kontext einer vergeschlechtlichten Struktur statt, die Frauen (oder manchmal Männer) in einer einmaligen Weise betrifft. Die Vulnerabilität von geflüchteten Frauen in Bezug auf sexuelle Gewalt ist dafür ein Beispiel […]. Laut HRW berichten aus Burundi geflüchtete Frauen in Tansania von häufigen Vergewaltigungen. Ihre Vulnerabilität gegenüber sexueller Gewalt ist insofern durch Gender strukturiert, als sie für diesen Missbrauch meist dann am vulnerabelsten sind, wenn sie ihrer geschlechtsbasierten Verantwortung zum Sammeln von Feuerholz und anderen lebensnotwendigen Gütern nachgehen. Unter den vorherrschenden Bedingungen des Lebens als Flüchtling bedeutet das Nachkommen dieser Verantwortung, dass sie alleine oder in kleinen Gruppen mehrere Meilen weg von den Flüchtlingslagern gehen müssen. Dabei werden sie häufig überfallen […]. Hier ist ihre Lage als Produkt ethno-rassistischer Entmächtigung und des Patriarchats doppelt überlagert: Da sie Frauen sind, erfordern die Geschlechterbeziehungen von ihnen, ihre Sicherheit zu riskieren, um ihren Verantwortungen nachgehen zu können. Als Hutus sind sie vertriebene Ausländerinnen in einem fremden Land. Darüber hinaus sind die Bedingungen in den Lagern, insbesondere der Mangel an den notwendigsten Dingen für das Überleben, auch das Produkt eines weiteren Musters rassistischer Macht, insbesondere der unterschiedlichen Ressourcen, die afrikanischen Flüchtlingen im Gegensatz zu den Opfern eines europäischen Konflikts zur Verfügung stehen. Und schlussendlich ist die dynamische Natur der sexuellen Gewalt sowohl rassialisiert als auch gegendert: die spezifische Misshandlung, der sie ausgesetzt sind, beruht offensichtlich auf ihrem Geschlecht, während ihre spezifische Identität als Hutu-Frauen sie besonders vulnerabel für rassistische Stereotype macht, die unter tansanischen Männern vorherrschen.
10. Ein weiteres Beispiel struktureller Intersektionalität wird durch die überlappenden Effekte von Hintergrundstrukturen erkennbar, wenn diese mit Politiken oder anderen Entscheidungen interagieren, die disproportionale Belastungen für marginalisierte Frauen mit sich bringen. Dieses intersektionale Problem unterscheidet sich vom vorangehenden dadurch, dass die angesprochene Politik in keiner Weise auf Frauen oder anders marginalisierte Personen abzielt; sie überschneidet sich bloß mit anderen Strukturen und schafft so eine unterordnende Wirkung. Beispiele dieser Art von Unterordnung können mit der Last veranschaulicht werden, die Strukturanpassungsprogramme (SAPs) in entwickelnden Wirtschaften für Frauen bedeuten. Die vergeschlechtlichten Konsequenzen von SAPs wurden bereits durch eine Reihe an Kritiken auf den Punkt gebracht […]. Häufig müssen Frauen jene zusätzlichen Lasten tragen, die durch die Rücknahme von staatlichen Leistungen entstehen. Wenn der Staat z. B. Ressourcen von der Betreuung von Kindern, Gebrechlichen und Alten abzieht, dann hat dies […] in der Folge Konsequenzen für diejenigen, denen solche Verantwortungen traditionell zufielen – für Frauen. Doch es sind Klassenstrukturen, die bestimmen, welche Frauen diese Arbeit physisch durchführen, und welche Frauen […] ökonomisch benachteiligte Frauen für diese Leistungen bezahlen. Arme Frauen müssen also die Last übernehmen, sich um die Familien anderer und um ihre eigenen zu kümmern. Die Konsequenzen der SAPs – insbesondere dann, wenn die Entwertung der Währung die Einkommen verringert hat – bringt sie in eine Position, in der sie wirtschaftlich gezwungen sind, noch mehr und meist vergeschlechtlichte Arbeit zu leisten, deren Erledigung sich bessergestellte Frauen auf dem Markt sichern können.
Wie diese Beispiele zeigen, müssen die Konsequenzen intersektionaler Unterordnung nicht absichtlich herbeigeführt werden. SAPs zum Beispiel bringen bestimmte Dynamiken in Bewegung, die Frauen in unterschiedlicher Weise betreffen, doch diese Entscheidungen sind weder intentional diskriminierend noch ausschließlich lokal. Entscheidungstreffende Entitäten, die weit weg vom Ort der Verletzung sind, können erhebliche Lasten im Leben von sozial und ökonomisch marginalisierten Frauen rund um den Globus schaffen. Indem die Effekte weit entfernt getroffener Entscheidungen durch die überlappenden Strukturen der Unterordnung fließen, intensiviert sich das Gewicht der Last […]. In der Konsequenz kann das Enger-Schnallen des Gürtels in manchen Ökonomien die wirtschaftliche und soziale Erdrosselung jener bedeuten, die weniger Möglichkeiten haben, die Konsequenzen von Austeritätspolitiken nach unten weiterzugeben, [….] und dieser Bereich ist häufig nach Gender, Klasse und race strukturiert.
[…] Diese dargelegten Beispiele beschreiben vor allem die materiellen Folgen der Intersektionalität. Es gibt aber auch einen anderen Aspekt […], der Aufmerksamkeit verdient. Frauen, die Mitglieder von rassistisch, kulturell oder ökonomisch marginalisierten Communities sind, haben sich aktiv […] organisiert, um ihre Lebensbedingungen infrage zu stellen. Sie tun dies sowohl gegen Hürden, vor denen bessergestellte Frauen stehen, als auch gegen Hürden, die einzigartig für sie sind. Eine solche Hürde wird häufig in Begriffen der Verpflichtung ihrer sozialen oder nationalen Gruppe gegenüber artikuliert […] und manchmal angewandt, um jegliche Kritik an Praktiken oder Problemen zu unterdrücken, die in irgendeiner Weise negative Aufmerksamkeit auf diese Gruppen richten könnte. Frauen, die darauf bestehen, ihre Rechte gegen bestimmte Formen des Missbrauchs durchzusetzen, die in ihrer Community stattfinden, riskieren Ächtung oder andere Formen der Missbilligung, da sie ihre Community angeblich verraten oder beschämen. […] Dies ist eine spezifische Last, mit der Frauen dominanter Gruppen üblicherweise nicht konfrontiert sind.
Frauen, die diskriminierende Praktiken infrage stellen, die von anderen als kulturell verteidigt werden, finden sich häufig in einer speziell prekären Position. Einerseits sind Außenstehende manchmal nur allzu willig, harsche Kritik an Praktiken von ethnisch oder rassialisiert geanderten Gruppen zu üben, auch wenn in ihrer eigenen Kultur ähnliche Misshandlungen vorkommen. Wenn es andererseits Frauen zulassen, dass ihre Herausforderungen an patriarchale kulturelle Traditionen innerhalb ihrer Communities zum Schweigen gebracht werden, dann verlieren sie die Möglichkeit, Praktiken zu transformieren, die schädlich für Frauen sind.
5. Ein intersektionales Verfahren entwickeln
Es ist wichtig anzuerkennen, dass allgemein geltende Abkommen und Gesetze manchmal eng interpretiert wurden, um nur jene Diskriminierungen und Entmächtigungen zu erfassen, die entlang einer einzigen Achse der Macht stattfinden, doch widersprechen solche engen Interpretationen der Reichweite von Abkommen, Gesetzen und Erklärungen, deren Intention der Schutz von Individuen vor rassistisch und geschlechtsspezifisch begründeter Verweigerung von Rechten ist. In dem Ausmaß, in dem CERD darauf abzielt, Individuen vor rassistischer Diskriminierung zu schützen, umfassen die darin geschützten Rechte alle Aspekte rassistischer Diskriminierung, also auch jene Aspekte, die Frauen und Männer unterschiedlich betreffen. Dieselbe Interpretation trifft auf Genderdiskriminierung zu: Die Rechte, die CEDAW garantiert, umfassen die gesamte Reichweite rassismusbezogener Erfahrungen von Genderdiskriminierung.
Während also keine zusätzliche Artikulation von grundlegenden Prinzipien nötig ist, um Rechte und Schutz gegen intersektionale Diskriminierung zu schaffen, so wäre es doch nützlich, Verfahren zu entwickeln, die bestehende Interpretationen und Praktiken durchbrechen, die die Rechte von Opfern intersektionaler Unterordnung mindern.
a. Kontextuelle Analyse und Informationssammlung
Intersektionale Unterordnung wird aufgrund ihrer spezifischen Natur sowohl deshalb häufig verdeckt, weil sie jenen passiert, die sogar innerhalb untergeordneter Gruppen marginalisierter sind, als auch weil bestehende Paradigmen diese Diskriminierung nicht konsistent antizipieren. […] Da bestimmte Probleme nicht antizipiert werden, werden sie nicht ohne Weiteres entdeckt; da sie nicht ohne Weiteres entdeckt werden, bleibt ihre Analyse unterentwickelt. Für Bemühungen, ein größeres Verständnis für die Probleme zu entwickeln, die mit Intersektionalität verbunden sind, ist es ein weiter Weg von ihrer aktuellen Unsichtbarkeit hin zu einer bewussten Aufmerksamkeit der Mitglieder der Fachausschüsse, der Programmschaffenden, Rechtsbeiständen von NGOs und anderen.
Intersektionale Verwundbarkeit tritt insbesondere dann besonders wenig in Erscheinung, wenn die dominante Analyse als eine kategoriale Top-down-Untersuchung […] konzipiert ist. Nur wenn dieser Top-down-Zugang so gestaltet wird, dass er den Pfad der Diskriminierung bis hin zu jenem Punkt verfolgt, wo unterordnende Praktiken mit anderen Formen der Unterordnung interagieren, sie beeinflussen und von ihnen beeinflusst werden, dann werden die interaktiven Folgen von Rassismus und Sexismus aufgedeckt.
Dieses Problem zu erkennen und ihm Rechnung zu tragen erfordert, dass intersektionale Verfahren vorrangig auf kontextuelle Analyse abzielen. Aufmerksamkeit für intersektionale Subordination erfordert also eine analytische Strategie, die eine Bottom-up-Analyse einbezieht. Beginnend mit der Frage, wie Frauen ihre Leben gestalten, kann diese Analyse […] den unterschiedlichen Einflüssen auf das Leben und die Lebenschancen marginalisierter Frauen Rechnung tragen. Besonders wichtig ist es sichtbar zu machen, wie Politiken und Praktiken ihre Leben in anderer Weise formen als die jener Frauen, die nicht der Kombination von Faktoren ausgesetzt sind, mit denen sich marginalisierte Frauen konfrontieren müssen.
Es sollten Anstrengungen unternommen werden, Forschenden klar zu machen, wie wichtig es ist, die Erfahrungen marginalisierter Frauen spezifisch zu untersuchen. […] Daher müssen spezifische Rechercheverfahren gestaltet werden, um eine adäquate Informationsbasis zu entwickeln, von der aus spezifische Konsequenzen von race und Gender analysiert werden. […]
b. Die Entwicklung von Methodologien zur Aufdeckung intersektionaler Unterordnung
[…] Versuche, eine bewusste Aufmerksamkeit für die intersektionale Dimension eines Problems zu entwickeln, können durch die Anwendung der Strategie die „anderen Fragen zu stellen“, gefördert werden, eine Methodologie, die die feministische Theoretikerin Mari Matsuda vorschlägt. Wie Matsuda nahelegt, mag es häufig offensichtlich sein, dass ein bestimmter Zustand zum Beispiel das Produkt von Rassismus ist, aber wir können mehr erkennen, wenn wir routinemäßig fragen: „Wo ist hier der Sexismus? Was ist die Klassendimension? Wo ist der Heterosexismus?“. Um diese Untersuchung zu erweitern, kann gefragt werden: „Wie beeinflusst Regionalismus dieses Problem? Wie die historischen Konsequenzen des Kolonialismus?“ [Matsuda 1991: 1189]
Diese Methodologie zum Beispiel auf die Arbeitsbedingungen in den Freihandelsgebieten anzuwenden, kann erhellend sein. Die Genderdimension dieser Bedingungen ist schnell offensichtlich: Es sind vor allem Frauen, die in diesen Sektoren arbeiten, und dies spiegelt eine Genderdynamik wider, in der Frauen Männern für diese Art von Arbeit vorgezogen werden. Aber hier ist mehr als Gender am Werk. Diese zusätzlichen Dynamiken können aufgedeckt werden, wenn ein weiteres Set an Fragen gestellt wird: Ist Rassismus daran beteiligt, welche Frauen diesen Bedingungen unterworfen werden? Ist noch eine andere Machtstruktur am Werk, die es erlaubt, dass diese Bedingungen anhalten? Was ist es auf globaler Ebene, das zu diesen Bedingungen beiträgt? Solche weiteren Fragen zu stellen kann aufzeigen, dass race oder Ethnizität eine Rolle dabei spielen, wessen Rechte auf humane Arbeitsbedingungen von Entscheidungstreffenden bereitwillig aufgegeben werden, wenn sie verzweifelt ausländische Investments anziehen wollen. Und diese Verzweiflung wiederum kann in den historischen und gegenwärtigen Beziehungen zwischen Nord und Süd begründet sein, eine Beziehung, die auch mittels dieses Sets an Fragen ergiebig erkundet werden kann.
Zusammenfassend sollte bei Hinweisen auf eine gender- oder racebasierte Diskriminierung ein Verfahren angewandt werden, das auf Intersektionalität abgestimmt ist und in Betracht zieht, ob weitere Faktoren bestehen, die diese Frauen (oder Männer) besonders vulnerabel für Missbrauch machen.
6. Herausforderungen und Empfehlungen
a) Das oben empfohlene Verfahren kann eine effektive Intervention gegen die Ausblendung von intersektionaler Unterordnung darstellen […]. Es bestehen aber auch Dilemmata – von denen einige ziemlich substantiell sind –, die selbst die ambitioniertesten Versuche schwierig machen, den Bereich von Menschenrechtsaktivitäten zu erweitern, um die Rechte von Frauen und Männern durchzusetzen, die von intersektionaler Unterordnung betroffen sind:
1. Race oder Ethnizität sind weltweit betrachtet keine unveränderlichen Marker
Die Fähigkeit, die Überschneidungen der Unterordnungen zu erklären, beruht auf der Fähigkeit, mit einer gewissen Klarheit die Funktion von ethno-rassistischen Hierarchien und anderen gruppenbasierten Praktiken zu konzeptualisieren. Während es offensichtlich ist, dass alle Gesellschaften in unterschiedlichem Ausmaß durch Gender beschrieben werden, ist dies in Bezug auf eine Aufteilung nach race oder ähnlichen Kriterien manchmal schwierig klar nachzuweisen. Viele Gesellschaften verfügen über wenig Geschichte expliziter, apartheidsähnlicher rassistischer Klassifikationen, wie sie Gesellschaften charakterisiert, die wie die USA oder Südafrika auf rassistischer Stratifizierung aufgebaut sind. Dennoch ist die […] anhaltende Unterordnung indigener Völker weit verbreitet und […] diejenigen, die arm sind oder in anderen Weisen marginalisiert, unterscheiden sich in der Regel […] von der elitärsten Gruppe – entweder durch ihre Hautfarbe, ihre Kaste, Herkunft, Sprache oder Religion. Während es einige Kennzeichen rassistischer Stratifizierung gibt, die spezifisch für Post-Apartheid-Gesellschaften sind, so sind doch die Geschichte und Praktiken der Gruppendifferenzierung genügend weit verbreitet, sodass Unterschiede zwischen Ländern eher graduell als grundsätzlicher Natur sind. […]
2. Die ungleiche Entwicklung von rassismus- und genderbezogenen Menschenrechtsdiskursen
[…] Während sich mehrere Institutionen und internationale NGOs der Sicherstellung von Frauenrechten widmen, so ist die Anzahl ähnlicher Institutionen unter der Rubrik Rassismus vergleichbar eingeschränkt. Vielleicht als Konsequenz davon gibt es aktuell keinen Konsens, sich eine Politik des race-Mainstreaming zu eigen zu machen. […] [A]ngesichts des Ausmaßes rassialisierter Ungleichheiten auf der Welt und der Art und Weise, wie Rassismus, ebenso wie Gender, dramatisch die Inanspruchnahme von Rechten und Garantien beeinflusst, sollte aber eine rassismusbewusste Analyse voll und ganz in die Arbeit der UN-Institutionen inkorporiert werden.
3. Die Befassung mit der Kluft zwischen Nord und Süd
Einige der hier angesprochenen intersektionalen Verwundbarkeiten sind teilweise Konsequenz der Kluft zwischen Nord und Süd. Während das Menschenrechtssystem durch seinen Fokus auf Beziehungen innerhalb von Staaten die Möglichkeiten beschränkt, diesen Umstand anzusprechen, so bringt doch die rassistische/ethnische Konstruktion der Trennung mit ihren Bezügen zur Kolonialgeschichte race oder Hautfarbe auf Makroebene ins Spiel. Wenige dieser Verhältnisse können als frei von Rassismus betrachtet werden, auch wenn hier vielleicht kein klares Menschenrecht formuliert werden kann.
4. Die komplexe Rolle rassialisierter Eliten
Die politische und ökonomische Unterordnung einiger Länder auf der internationalen Ebene kann manchmal zur Verleugnung interner rassistischer Spaltungen beitragen, und dies wiederum macht Versuche einer intersektionalen Analyse komplizierter. Doch die Eliten dieser Gesellschaften des Südens haben insofern eine Doppelrolle inne, als sie in der internationalen Arena marginalisiert und vielleicht sogar zum Schweigen gebracht werden, während sie in ihren eigenen Ländern eine privilegierte Position einnehmen. Eliten solcher Gesellschaften können manchmal Diskurse über Rassismus und damit zusammenhängende Formen der Unterordnung übernehmen, um Machtverhältnisse zwischen Nord und Süd anzusprechen, während sie sich gegen Versuche verwehren, interne Hierarchien zu untersuchen, die auch rassistische und damit zusammenhängende Formen der Unterordnung aufweisen. Intersektionale Analyse kann hierbei helfen, weiterführende Debatten so zu gestalten, dass sie sowohl den breiteren Strukturen der Macht zwischen Nord und Süd als auch den innerhalb der Staaten existierenden überlappenden Hierarchien Rechnung tragen.
5. Diskurse von Nationalismen und racial Solidarität
Die Politiken von racial Solidarität oder Nationalismen schaffen für rassialisierte Frauen weltweit einzigartige Hindernisse, wenn sie sich für ihr Wohlbefinden einsetzen. Antifeministische Rhetorik, die mit der Verteidigung von race und Nation begründet wird, bringt Frauen manchmal in die unhaltbare Situation, sich zwischen ihrer Identität als Frauen und ihrer Identität als Mitglieder marginalisierter Nationen oder rassialisierter Gruppen zu entscheiden. Intersektionale Analyse kann dabei helfen, die Interessen von Frauen als koexistierend mit den Interessen der race oder Nation zu verstehen und in der Folge die Anforderung, dass rassialisierte Frauen gegeneinander Partei ergreifen, zu unterbinden.
b) Im Lichte dieser Beobachtungen werden folgende Empfehlungen präsentiert:
1. Die Erweiterung der Datenerhebung und Aufschlüsselung der Strategien
Die Datenerhebung der Fachausschüsse und anderer Menschenrechtsinstitutionen sollten nach Geschlecht und rassialisierenden Kategorien aufgeschlüsselt werden und, wo immer möglich, kreuztabuliert werden, um die Situation marginalisierter Frauen zu ermitteln. Berichterstattende Staaten sollten von den Fachausschüssen dazu angehalten werden, die Daten zu erheben, die nötig sind, um das Ausmaß intersektionaler Unterordnung marginalisierter Frauen bestimmen zu können. […] In diesem Sinne […] kann die explizite Forderung nach solchen Daten und damit verbundenen Analysen einen Anreiz für Regierungen darstellen, solche Informationen in systematischerer Weise zur Verfügung zu stellen.
2. Die Interpretation der Verantwortung der Fachausschüsse, intersektionale Analysen einzufordern
CERD hat vor Kurzem mit der Annahme der Empfehlung 25 einen wichtigen Schritt unternommen, Genderanalysen in seinen Aufgabenbereich aufzunehmen. […] „Der Ausschuss wird in seiner Arbeit danach trachten, Genderfaktoren oder andere Sachverhalte zu berücksichtigen, die mit rassistischer Diskriminierung verkettet sein können.“ Damit strebt der Fachausschuss „ein systematischeres und konsequenteres Vorgehen bei der Evaluierung und dem Monitoring rassistischer Diskriminierung von Frauen sowie der Nachteile, Hindernisse und Schwierigkeiten an, mit denen Frauen für die vollständige Inanspruchnahme ihrer bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte aufgrund ihrer race, Hautfarbe, Abstammung oder nationalen und ethnischen Herkunft konfrontiert sind“.
CEDAW und ihre unterstützenden Institutionen sollten auch ihre Verfahren, wo nötig, anpassen, um sicherzustellen, dass intersektionale Unterordnung anerkannt, untersucht und thematisiert wird.
3. Überprüfung nationaler Mechanismen zur Bestimmung der Möglichkeiten für Frauen, Schutz vor und Hilfe gegen intersektionale Diskriminierung zu erhalten
Auf nationaler Ebene haben nur wenige Staaten Schritte unternommen, um sicherzustellen, dass effektive Abhilfe gegen intersektionale Verletzungen geschaffen wird. Doch die entsprechenden Verträge gegen Diskriminierung verlangen von den Vertragsstaaten, nationale Gesetzgebungen zu beschließen, die sowohl rassistische als auch geschlechtsspezifische Diskriminierung unterbinden. In dem Ausmaß, in dem Staaten diese intersektionalen Probleme nicht unterbinden, haben Frauen nicht den Zugang zum gesamten Umfang an Schutz, der ihnen zusteht. Staaten, die keine Abhilfe für intersektionale Diskriminierung leisten, erfüllen daher ihre Verpflichtungen nicht in vollem Umfang. Um diese Kluft zu überwinden, ist es entscheidend, dass nicht nur Gender in den Berichterstattungs- und Überprüfungsmechanismen der Staaten gegenüber CERD etabliert wird, sondern dass in ähnlicher Weise race in die Tätigkeiten aller Gremien der Vereinten Nationen inklusive CEDAW, DAW und CSW miteinbezogen wird.
4. Unterstützung einer rassismusbewussten Parallele zu Gender-Mainstreaming
Nun da die WCAR [vom 31. August bis zum 8. September 2001] immer näher kommt, ist davon auszugehen, dass Versuche unternommen werden, die Aufmerksamkeit auf […] Rassismus zu institutionalisieren. Das ist eine wünschenswerte Entwicklung, die von den gleichen Institutionen unterstützt werden sollten, die bereits den Konsens für Gender-Mainstreaming ermöglicht haben. Aufmerksamkeit für die Rolle von Rassismus und damit verbundene Analogien ist nötig, um sicherzustellen, dass Gender-Mainstreaming selbst in der Bandbreite der Gendererfahrungen vollständig inklusiv ist. Doch auch abgesehen davon […] ist die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, wie race und andere Kategorien der Differenz täglich das Leben der Menschen auf der ganzen Welt formen, ebenso zwingend nötig, wie dies für Gender der Fall ist.
Alle Menschenrechtsfachausschüsse und unterstützende Institutionen sollten ihre Dokumente und aktuellen Praktiken – insbesondere jene, die mit Gender-Mainstreaming befasst sind – dahingehend überprüfen, dass sie die spezifische Vulnerabilität von Frauen, die auch rassistisch untergeordnet sind, ansprechen. Auch wenn innerhalb der Diskurse des Gender-Mainstreamings weitgehend anerkannt wird, dass Gender selbst eine sozial konstruierte Kategorie ist, die aufgrund von race und anderen Faktoren variiert, so hat diese grundlegende Beobachtung doch nicht darauf Einfluss genommen, wie Fachausschüsse das Gendermandat aufgenommen haben. […]
5. Befähigung marginalisierter Frauen zur direkteren Partizipation in Menschenrechtsdiskursen durch bessere Finanzierung und Training
Die ganze Bandbreite intersektionaler Marginalisierung wird nur dann in Frauenrechtsdiskurse integriert werden, wenn rassistisch untergeordnete Frauen weltweit vollen Zugang zu Menschenrechtsinstitutionen haben. Aktuell erhalten viele rassialisierte Frauen den Zugang zu solchen Institutionen nur vermittelt durch bessergestellte Gruppen von Frauen. Manchmal befinden sich diese Institutionen im eigenen Land, aber häufig haben sie ihren Standort im Ausland. Für solche Frauen sollten die finanziellen Grundlagen für die Teilnahme und die Einflussmöglichkeit auf Menschenrechtsdiskurse durch selbstorganisierte Frauengruppen ermöglicht werden.
6. Ernennung einer_s Sonderberichterstatters_in zur Schaffung größeren Bewusstseins über die Bedingungen rassialisierter Frauen weltweit
Es gibt viel zu wenig Information und Bewusstsein darüber, in welchen spezifischen Weisen die Rechte rassistisch marginalisierter Frauen beeinträchtigt oder verletzt werden. […] Aufmerksamkeit auf intersektionale Unterordnung zu lenken ist nur eines der zentralen Ziele, die solch ein_e Sonderberichterstatter_in erreichen sollte. Eine zusätzliche Aufgabe wäre die Förderung der Entwicklung von Verfahren und Datensammlungen, die nötig sind, um ein operatives Verständnis dieser Probleme zu entwickeln und die laufenden Versuche der Fachausschüsse zu unterstützen, die Fortschritte der Unterzeichnerstaaten bei der Sicherung der Rechte marginalisierter Frauen zu überprüfen.
7. Abhalten einer gemeinsamen Konferenz von CERD und CEDAW
Obwohl das Mandat des Gender-Mainstreaming allgemein für alle UN-Institutionen gilt, wäre eine gemeinsame Konferenz von CERD und CEDAW die vielleicht produktivste Interaktion, die das Verständnis für genderbezogene Aspekte von Rassismus und für rassismusbezogene Aspekte von Sexismus verbessern würde. Diese Empfehlung ist nicht völlig ohne Vorbild. […] Die Beschaffenheit intersektionaler Diskriminierung legt es nahe, dass der Schutz der spezifischen Rechte rassistisch marginalisierter Frauen angesichts der überlappenden Parameter von CERD und CEDAW einer gewissen Koordination bedarf. Konzeptuelle und prozedurale Koordination der Überprüfungsverfahren der Fachausschüsse würde sicherstellen, dass keine Lücken verbleiben, durch welche die Rechte von mehrfach belasteten Frauen fallen können.
8. Sprache für den Entwurf des Abkommens der WCAR schaffen, die Aufmerksamkeit auf intersektionale Diskriminierung lenkt
Die WCAR 2001 bietet die Gelegenheit, einen Konsens über die Wichtigkeit zu erreichen, intersektionale Diskriminierung zu erkennen, zu überwachen und zu beseitigen. Wenn möglich, sollten gemeinsame Empfehlungen der relevanten Fachausschüsse für ihre Inklusion in die Dokumentation der WCAR formuliert werden.
7. Schlussfolgerungen
Dieses vorangehende Rahmenwerk wurde für den ausschließlichen Zweck vorgelegt, einen produktiven Dialog und die Entwicklung zugänglicher Information über die race und Gender Dimensionen intersektionaler Unterordnung zu unterstützen. Diese Analyse ist provisorisch, und […] die dargelegten Beispiele dienen bloß als Miniaturbilder einiger der zentralen Dynamiken intersektionaler Unterordnung. Tatsächlich gibt es dutzende Sachverhalte, die unter diesem Rahmenwerk hätten diskutiert werden können. Solch eine Liste […] wird sicher wachsen, wenn Frauen der ganzen Welt – wie die Analyse hier nahelegt – die Fäden ihres Lebens in den Stoff der Menschenrechte weben.
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Die Autorin
Kimberlé Williams Crenshaw ist Rechtsprofessorin an der UCLA School of Law und der Columbia Law School, Gründerin des Columbia Law School‘s Center for Intersectionality and Social Policy Studies (CISPS) und des African American Policy Forum (AAPF) sowie Honorary President des Center for Intersectional Justice. Sie prägte 1989 den Begriff der Intersektionalität.
Die Übersetzerin
Eva Kalny ist Professorin für Soziologie an der Hochschule Esslingen und Kulturanthropologin (mit Schwerpunkt Guatemala). Sie befasst sich auf wissenschaftlicher und praktischer Ebene mit unterschiedlichen Aspekten von Menschenrechten und sozialer Ungleichheit.