Internationale Frauenrechte – ein gutes Instrument zur Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit?

Frauenpolitische Akteure verschiedener Couleur haben seit Mitte der 1970er Jahre massiv Einfluss auf Internationale Organisationen genommen, um ihrer Forderung nach Gleichberechtigung Nachdruck zu verleihen. Auf der Ebene des ‚Agenda setting‘ besonders im Rahmen der Vereinten Nationen (UN) ist ihr Aktivismus erfolgreich gewesen. Im Januar 2011 wurde mit UN-Women eine ressourcenstarke UN-Unterorganisation geschaffen, die ein deutliches institutionelles Signal für die Relevanz von Geschlechtergerechtigkeit in allen UN-Arbeitsbereichen setzt. UN-Women, geleitet von der prominenten chilenischen Ex-Präsidentin und Feministin Michelle Bachelet, baut auf die verschiedenen Strategien, die in Jahrzehnte langer Arbeit von global agierenden Frauenorganisationen und -politikerinnen entwickelt wurden. Diese Strategien setzen unterschiedliche Schwerpunkte, verfolgen langfristig jedoch das gemeinsame Ziel, die weltweit sehr verschieden ausgeprägten, aber überall vorhandenen Geschlechterhierarchien einzuebnen. Wie effektiv kann ein so weitreichendes Ziel aber mit den Mitteln internationaler Organisationen verfolgt werden? Es scheint zu früh, um die Arbeit von UN-Women fundiert einzuschätzen. Stattdessen soll hier eine der zentralen internationalen Gleichstellungsstrategien unter die Lupe genommen werden, nämlich die Rekonstruktion von weiblichen Diskriminierungserfahrungen als Menschenrechtsverletzung an Frauen. Mehrere Fragen treten auf: Inwiefern hat diese Strategie zu mehr Geschlechtergerechtigkeit weltweit beigetragen? Was sind ihre Stärken? Und wo besteht Verbesserungsbedarf?

Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist integraler Bestandteil des Menschenrechtskanons und wurde bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 festgeschrieben. Allerdings dauerte es bis in die 1970er Jahre, bis die strukturelle Benachteiligung von Frauen als Herausforderung für den Menschenrechtsdiskurs verstanden wurde. Die Frauenrechtskonvention CEDAW (verabschiedet 1979) ist ein Ausdruck dieses Umdenkens. Jedoch fristete CEDAW lange Zeit ein eher isoliertes Dasein, so als ob Frauenrechte doch etwas ganz anderes seien als „echte“ Menschenrechte, und erst seit den 1990er Jahren wurde die Zentralität der vielfältigen Diskriminierungserfahrungen, die Frauen weltweit in unterschiedlicher Intensität erleben, für den Menschenrechtsdiskurs voll anerkannt. Insgesamt hat sich dieser Diskurs immer weiter in Richtung Intersektionalität und Inklusion bewegt, was ihn für viele Frauenrechtsaktivistinnen weltweit zu einem brauchbaren Instrument im Kampf um globale Gerechtigkeit macht; wie wir wissen, richten sich solche Kämpfe meistens nicht gegen eine Diskriminierungsdimension, sondern gegen mehrere miteinander verknüpfte und sich verstärkende Marginalisierungserfahrungen.

Der Nutzen des Menschenrechtsdiskurses und CEDAW als seine frauenspezifische Manifestierung liegt einerseits in der Stärkung einer globalen Norm der Menschenwürde, in der Frauenleben mitgedacht werden, andererseits in dem Potenzial, Handlungsfähigkeit im Sinne dieser Prinzipien zu ermöglichen. Dieser Fokus auf normgeleitetes Handeln mag trivial klingen, er scheint aber gerade in der wissenschaftlichen Analyse oft zu Gunsten einer Logik des Messens unterzugehen. Viele Studien gehen von der Ineffizienz des UN Menschenrechtsinstrumentariums aus, wenn nichts direkt Messbares dabei herauskommt, oder von Effizienz, falls das Gegenteil der Fall ist.1 Solche Studien können Korrelationen feststellen, z.B. eine höhere Lebenserwartung von Frauen in Staaten, die CEDAW ratifiziert haben (vgl. Gray et al. 2006: 315), aber sie können die Handlungen, die diese Korrelation hervorgebracht haben, weder dokumentieren noch erklären.2 Hier wird dagegen die Position vertreten, dass Menschenrechtsschutzinstrumente vor allem das Potenzial besitzen, kritisches Wissen zu erzeugen und transformierendes Handeln zu befördern. Ihr Erfolg hängt davon ab, ob der internationale Diskurs sinnvoll in lebensweltliche Kontexte übersetzt werden kann.


1. Der FrauenMenschenrechtsdiskurs: Work in progress

Die Kategorie ‚Geschlecht‘ hat in relativ oberflächlicher Weise in den Menschenrechtsdiskurs Eingang gefunden – ‚Geschlechtssensibilität‘ bedeutet vor allem einen Fokus auf Frauen und frauenspezifische Menschenrechtsverletzungen zu haben; nur in Ausnahmefällen geht es um Geschlechterverhältnisse als soziale Struktur, die alle Menschen betrifft und in unterschiedlichem Maße mit Privilegien ausstattet.3 Trotz dieser Kritik ist die Integration von Fraueninteressen in den Menschenrechtsdiskurs im historischen Rückblick ein bemerkenswerter und mühsam erkämpfter Erfolg. Die Genese der CEDAW-Konvention und ihres ExpertInnenausschusses von einem isolierten und schlecht ausgestatteten Instrument, dessen menschenrechtliche Relevanz lange nicht anerkannt war, hin zu einer in der Menschenrechtsarchitektur voll integrierten Institution ist Zeugnis für diesen Prozess. Diese Transformation erfolgte allerdings nicht automatisch, sondern ist der unermüdlichen Überzeugungsarbeit von CEDAW-ExpertInnen, UN-BürokratInnen und staatlichen und nicht-staatlichen CEDAW-UnterstützerInnen geschuldet (Zwingel 2012).

Diese Entwicklung muss als Teil eines breiteren Transformationsprozesses gesehen werden: Das Menschenrechtsinstrumentarium innerhalb der UN hat sich seit Ende der Blockkonfrontation insgesamt entfaltet, weiterentwickelt und seine Autorität gesteigert. Wichtige Teile dieser Transformation sind die zunehmende Inklusivität des Diskurses, sichtbar sowohl innerhalb der bestehenden Instrumente als auch in der Schaffung neuer Mechanismen, wie z.B. der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Weiterhin ist die Menschenrechtsarbeit institutionell besser ausgestattet worden, was u.a. in der Schaffung des UN Hochkommissariats für Menschenrechte 1994, der Erhöhung der Anzahl von Menschenrechts-Sonderberichterstattern sowie der Gründung des Menschenrechtsrates 2006 zum Ausdruck kommt. Die wichtigste Veränderung ist vermutlich die immer intensivere Beteiligung von Nicht-Regierungsorganisationen und nationalen Menschenrechtsinstitutionen in den als staatszentriert konzipierten Überprüfungsprozessen. Dieser Input hat die kritische Debatte über die Defizite der UN-Menschenrechtsinstrumentarien entscheidend beeinflusst, z.B. was die Prämisse der territorialen Staatenverantwortung angeht. In einer globalisierten Welt mit sehr unterschiedlichen staatlichen Kapazitäten macht es oft keinen Sinn, ausschließlich  den Staat für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu machen, auf dessen Territorium sie sich zutragen; z.B. wenn die Verletzungen von einflussreichen nicht-staatlichen Akteuren ausgehen. Genau so wenig erscheint es ratsam, Staatsverantwortung auf das eigene Territorium zu beschränken, z.B. wenn nicht-staatliche Akteure, die sich innerstaatlich an nationales Recht halten müssen, dieses anderswo brechen und Menschenrechtsverletzungen verursachen (Carey et al. 2010).4

Insgesamt ist das internationale Menschenrechtsinstrumentarium also visionärer und auch besser ausgestattet als je zuvor. CEDAW hat zu dieser Entwicklung entscheidend beigetragen, z.B. durch die Expertise des ExpertInnenausschusses im Bezug auf Menschenrechtsverletzungen, die von nicht-staatlichen Akteuren begangen werden, und durch einen starken Fokus auf intersektionale Diskriminierung, der durch die umfassende Diskriminierungsdefinition in Artikel 1 der Konvention getragen wird.5 Diese kritischen Impulse kommen aus dem Kreis der CEDAW-ExpertInnen, wären aber undenkbar ohne die kontinuierliche Präsenz von Frauenrechts-NGOs und deren fundamentalen Beitrag zur Arbeit des Ausschusses. Verglichen mit anderen Menschenrechtsorganen ist die Anzahl von aktiv mit CEDAW interagierenden NGOs sehr hoch (Connors 2010). Diese Stimmen haben maßgeblich zur Schärfung der Position des Überwachungsausschusses beigetragen. Dennoch ist der Ausschuss an den intergouvernamentalen Kontext gebunden und muss darauf achten, seine mühsam und über lange Jahre hinweg hergestellte Legitimität zu erhalten. Antifeministische Stimmen diffamieren die CEDAW- ExpertInnen hin und wieder als eine Gruppe von Radikalfeministinnen, insbesondere wenn es um Fragen der Familienplanung oder sexuellen Orientierung geht (Buß 2004). Eine solche Betitelung ist nicht im Interesse des Ausschusses, dessen Gewicht zum Großteil von der Anerkennung der Vertragsstaaten abhängt, und mag indirekt zu Zurückhaltung seitens der ExpertInnen führen.

Auf der Diskursebene sind Frauenrechte also an sich weiterentwickelt worden, sie sind als zentraler Bestandteil des Menschenrechtskataloges anerkannt und haben diesen Katalog mit eigenen Impulsen beeinflusst. Dieser Prozess ist von Herausforderungen und institutionellen Limitierungen geprägt, und er ist prinzipiell unvollendet: Linearer Fortschritt hin zu wachsender Perfektionierung ist nicht zu erwarten. Nichtsdestotrotz halten wir – um es bildlich auszudrücken – einen nützlichen Kompass in der Hand: Das Reiseziel ist die alle Menschen inkludierende Menschenwürde, der Ozean, auf dem wir segeln, ist gepeitscht von den Stürmen immer komplexer und größer werdender Ungleichheiten, von denen Frauen in massiver Weise betroffen sind. Der praktische Nutzen dieses Kompasses hängt davon ab, inwieweit überzeugende Verbindungen hergestellt werden können zwischen internationalen Frauenrechtsnormen und kontextspezifischen Diskursen, und ob, darauf aufbauend, gleichstellungspolitischer Wandel erzeugt werden kann. Die Ratifizierung von CEDAW ist nur ein symbolischer Schritt, der eine formale Verbindung zwischen dem menschenrechtlichen Vertrag und dem jeweiligen Vertragsstaat herstellt. Dieser Schritt ist ein Türöffner, der zwar wünschenswert, aber nicht zwingend für substanzielle Transformation ist.6 Die zentrale Frage ist, was nach der Ratifizierung passiert. Welche Umsetzungsschritte werden unternommen? Und von wem? Welche Faktoren machen diesen Übersetzungsprozess von der internationalen zur nationalen Ebene mehr oder weniger umfassend?

CEDAW ist in vielfältiger Weise von verschiedenen innerstaatlichen Akteuren aufgegriffen und genutzt worden. Die Regierung ist der völkerrechtlich vorgesehene Umsetzungsakteur. Und tatsächlich haben Regierungen in beeindruckender Weise Gesetzesänderungen als Folge von CEDAW-Ratifizierung und des konstruktiven Dialoges mit dem Ausschuss in die Wege geleitet; z.B. in den Bereichen geschlechtsspezifische Gewalt und Chancengleichheit in der Arbeitswelt. Diese Veränderungen sind nicht zu unterschätzen, auch wenn Gesetzesänderungen nicht unbedingt auch faktische Verbesserung bedeuten; besonders wenn Gesetze es versäumen, adäquate Ressourcenausstattung für die neue Aufgabe bereitzustellen. Nationale Gerichte nehmen CEDAW sowie völkerrechtliche Verträge generell in wachsendem Maße zur Kenntnis, manchmal widerwillig und auf gesellschaftlichen oder internationalen Druck reagierend, manchmal in respektvoller Anerkennung der Relevanz des Völkerrechts für den eigenen Rechtsbereich. NGOs haben vielfältige Umsetzungsstrategien entwickelt: Oft sind sie direkt durch Lobbyarbeit in Gesetzesänderungen, basierend auf CEDAW, involviert. Sie arbeiten langfristig auf die Sensibilisierung von RegierungsvertreterInnen, ParlamentarierInnen oder BeamtInnen hin, die für Gesetzesänderungen und den Entwurf von Regierungsprogrammen nötig ist. Sie engagieren sich weiterhin in der Verbreitung des Konzepts der Frauenrechte, sie führen Weiterbildungen durch, vernetzen verschiedene Organisationen und machen so die Stimmen von Frauengruppen einflussreicher. Sie vertreten Fraueninteressen, die oft gegen andere, als wichtiger eingeschätzte Interessen verteidigt werden müssen. Insgesamt versuchen Frauenrechtsaktivistinnen kontinuierlich, internationale Frauenrechte kontextspezifisch akzeptabel zu machen. Diese Arbeit ist von unschätzbarem Wert, allerdings ist ein Großteil davon, wenn man in messbaren ‚Erfolgsvariablen‘ denkt, so gut wie nicht sichtbar.

Innerstaatliche Kontextfaktoren beeinflussen diese Übersetzungsarbeit signifikant. Im ‚Normalfall‘ werden Frauenrechte rhetorisch unterstützt, aber der politische Wille zu deren Umsetzung ist nur schwach entwickelt. Diese Konstellation ermöglicht die Strategie der Überzeugung oder auch, etwas konfrontativer, des ‚shaming‘. Wenn dominante Diskurse Frauenrechten offen feindlich gegenüber stehen, dann müssen Frauenrechtsaktivistinnen anders agieren: Zum Beispiel formulieren sie internationale Normen in Begrifflichkeiten, die zu Hause anerkannt werden, oder sie wählen nur die Aspekte aus dem Frauenrechtskanon aus, die erwartungsgemäß akzeptabel sind (so ist z.B. der Aspekt der Gleichstellung in Erziehungsfragen weitgehend unkontrovers, ganz im Gegensatz zu reproduktiven Rechten für Frauen). Manche ‚Übersetzungs-Aktivistinnen‘ entscheiden sich auch, keine Kompromisse einzugehen. Dies hat möglicherweise langfristig positive Effekte im Sinne der Diskurserweiterung, führt aber meistens kurz- und mittelfristig zur Delegitimierung der konfrontativen Position (Foley 2004). 


2. Zwei Vorschläge zur Verbesserung der Frauenrechtsstrategie

Insgesamt ist eine Fülle von Veränderungen unter der Zuhilfenahme von Frauenrechten erreicht worden, dennoch kann diese Strategie sowohl auf der diskursiven Ebene also auch im Hinblick auf ihre bisher noch zu limitierten Umsetzungsmechanismen verbessert werden. Mein erster Vorschlag hierzu lautet, dass im Gesamtpaket des Menschenrechtsdiskurses die Dimension der Anerkennung mehr hervorgehoben werden muss. Ein Umlernen auf dieser Ebene würde präventiv wirken – und nicht korrektiv, im Sinne effektiver juristischer Reaktion und Kompensation. Umdenken in diesem Sinne meint: radikales Neudenken von allen Regeln, die uns umgeben, auf der Basis menschenrechtlicher Standards. An einem konkreten Beispiel lässt sich die notwendige Tiefe dieses Prozesses am besten verdeutlichen: Nach dem CEDAW Fakultativprotokoll befasste sich der CEDAW-Ausschuss mit dem Beschwerdeverfahren Sahide Gökce (deceased) v. Austria, 5/2005. Sahide Gökce wurde von ihrem Ehemann umgebracht. Dies geschah nach einer langen Phase eskalierender Gewalt gegen sie, von der die österreichischen Behörden Kenntnis hatten. Sahide Gökce starb nicht, weil Österreich keine Gesetze im Bereich häusliche Gewalt kennt. Sie starb vor allem, weil der Täter sie nicht als Mensch mit angeborener Menschenwürde, sondern als seinen Besitz betrachtete. Und sie starb, weil die österreichische Polizei zwischen der Notwendigkeit, sie zu schützen, und den Rechten ihres Mannes auf Bewegungsfreiheit abwägte, und dabei zu dem Schluss kam, dass staatliche Nichteinmischung in diesem Fall angemessen sei. Diese Entscheidung basierte auf pragmatischen, in Teilen nachvollziehbaren Erwägungen. Soll die Polizei bei jedem alarmierenden Anruf einen bevorstehenden Mord vermuten? Sie wurde aber ohne ausreichende Kenntnis darüber getroffen, welchen Gefahren für Leib und Leben Opfer häuslicher Gewalt kontinuierlich ausgesetzt sind. Daher befand der CEDAW-Ausschuss, dass der Staat seinen Verpflichtungen gemäß CEDAW dahingehend nicht ausreichend nachgekommen sei, dass Polizeikräfte umfassend über ihre Verantwortung bzgl. Gewalt gegen Frauen informiert und geschult werden müssen.7 

Das weiterreichende Umlernen bezieht sich somit darauf, dass die Menschheit ein Stadium erreicht, in dem kein Mensch einen anderen als sein Eigentum oder als Mittel zum Zweck betrachtet – vielleicht das zentrale langfristige Ziel der Menschenrechte überhaupt. Diese Überlegungen zielen auf die Stärkung einer Idee ab, die gegenwärtig nicht gerade ‚angesagt‘ ist: Die globalisierte Weltwirtschaft will uns als flexible, wettbewerbsfähige, profitproduzierende und möglichst unverletzbare Menschen. Menschenrechte dagegen arbeiten auf die Menschenwürde aller hin, und dieses Ziel erfordert sowohl staatliche Zurückhaltung als auch Einmischung und Unterstützung. Es geht um eine Neuformulierung des Prinzips der Staatensouveränität – weg vom Recht auf externe Nicht-Einmischung und hin zu einer Verantwortung für jeden Menschen. Es geht auch darum, diese schwierige Aufgabe nicht unbedingt Staaten alleine zu überlassen.

Der zweite Vorschlag ist eher praktischer Natur: Die Menschenrechtsinstrumente der UN müssen stärker im Hinblick auf das, was ‚am Ende herauskommt‘, d.h. mit Blick auf Umsetzungsfragen konzipiert werden. Die gewachsenen Strukturen sind ein Resultat der Spannung zwischen der Idee der Menschenwürde und staatlichen Interessen: Die Mechanismen, die wir haben, sind so (wenig) weitgehend, wie Staaten es zulassen. Wie könnte diesen Mechanismen aber zu mehr Einfluss verholfen werden? Ich denke, dies könnte durch die Fortsetzung der hartnäckigen, kleinschrittigen Veränderungen geschehen, die schon so lange von so vielen Menschenrechtsaktivisten befördert werden. ‚Umsetzung von Menschenrechten‘ sollte als arbeitsteilige Aufgabe verstanden werden, in der die UN-Instrumentarien eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle spielen. Die zunehmende Relevanz von NGOs in den Monitoringverfahren der Vertragsorgane ist eine hoffnungsvolle Entwicklung in diesem Sinne: Sie waren zuerst nicht vorgesehen, sind aber inzwischen als zentraler Bestandteil anerkannt. Je jünger die Konvention ist, desto deutlicher ist auch das Prinzip des unabhängigen Monitoring bereits im Konventionstext verankert. Ein weiteres nützliches Element wäre eine kreative Diskussion bezüglich der extraterritorialen Staatenpflichten, insbesondere der hochentwickelten Staaten. Bisher werden sie von den Überwachungsausschüssen v.a. über ihre Menschenrechtsstandards in der Entwicklungszusammenarbeit befragt. Eine weitergehende und noch wichtigere Frage wäre die nach der Verantwortung dieser Staaten, die sie für Transnationale Konzerne und deren Verhalten in anderen (armen) Staaten tragen.8 

Frauen würden von dieser Herangehensweise extrem profitieren, denn sie sind die bevorzugten – weil am besten ausbeutbaren – Arbeitskräfte transnationaler Konzerne. Aber auch Männer würden profitieren, denn sie hätten bei der Einhaltung von Arbeitsrechtsstandards bessere Chancen auf Anstellung. Extraterritoriale Staatenpflichten einflussreicher Staaten werden oft als Gefahr für die Souveränität schwacher Staaten interpretiert. Allerdings würde eine ausgewogene Entwicklung dieser Pflichten die unhaltbare Selbstkonstruktion westlicher Demokratien als menschenrechtliche Musterschüler (im Vergleich zu den ‚anderen‘) gehörig stören. Dies könnte dazu führen, Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, die von westlichen (Wirtschafts-)Interessen weltweit verursacht werden. Und vielleicht würde dieser Ansatz dazu beitragen, den westlichen post-9/11-Mediendiskurs zu unterlaufen, nachdem der wirkliche Unterschied zwischen ‚uns‘ und ‚den anderen‘ darin besteht, ‚wie sie ihre Frauen behandeln‘. 


Anmerkungen 

1 Dieser Logik folgend findet Neumayer (2005) Ineffizienz, Gray et al. (2006) dagegen Effizienz. 

2 Um bei dem Beispiel zu bleiben: Korrelation bedeutet ja explizit nicht, dass CEDAW Ratifizierung die Ursache der höheren Lebenserwartung ist, also wäre zu klären, wie die beiden Phänomene logisch verknüpft sind.

3 CEDAW Artikel 5 kann in diesem Sinne als Ausnahme gelten, denn dort ist eine Modifizierung von sozialen und kulturellen Mustern vorgesehen, die auf der Idee der „inferiority or superiority of either of the sexes“ basieren. Die Vorstellung, dass Geschlechtidentitäten mehr beinhalten als die heteronormative Mann-Frau-Dyade, macht sich langsam im Menschenrechtskurs bemerkbar, allerdings hat dies noch nicht zu einer Anerkennung der Rechte von homo-, trans, oder intersexuellen Menschen geführt (Sanders 2009). 

4 Ein Beispiel zur Illustration: Wenn Texaco in Ekuador Öl fördert und dabei die Lebensgrundlage indigener Völker zerstört, dann finden dort Menschenrechtsverletzungen statt. Diese sind nicht vom ekuadorianischen Staat verursacht, aber auch nicht hinreichend verhindert worden. Wer trägt Verantwortung? Im Sinne des Verursacherprinzips Texaco (bzw. der heutige Firmennachfolger Chevron)? Im Sinne einer unterlassenen Schutzpflicht der ekuadorianische Staat? Im Sinne des Prinzips der Universal Jurisdiction die Vereinigten Staaten, da Texaco als juristische Person in den USA sich an grundlegende national geltende Umweltstandards auch weltweit zu halten gehabt hätte? Vgl. Keefe (2012). 

5 Beispielsweise hat der Ausschuss Allgemeine Empfehlungen (GR) zur Verantwortung gegenüber behinderten Frauen, Migrantinnen und älteren Frauen abgegeben (s. GR Nr. 18, 26 und 27). GR 28, in der die Bandbreite der Staatenverpflichtungen erklärt werden, hebt auch darauf ab, dass Staaten Diskriminierung von Frauen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verhindern sollen (vgl. http://www2.ohchr.org/english/bodies/cedaw/comments.htm).

6 Beispielsweise hat Taiwan bemerkenswerte Umsetzungsaktivitäten bezüglich CEDAW entwickelt, obwohl es durch seinen nicht-souveränen Status den Vertrag nicht ratifizieren kann. 

7 Die Bewertung des Ausschusses kann eingesehen werden unter http://www2.ohchr.org/english/law/jurisprudence.htm, UN Doc. CEDAW/C/39/D/5/2005. 

8 Vgl. Fußnote 4. 


Literatur 

Buss, Doris E. 2004: The Christian Right, Globalization, and the „Natural Family“, in: Tétreault, Mary Ann and Denemark, Robert A., Gods, Guns, and Globalization. Religious Radicalism and the International Political Economy, Boulder, London, Lynne Rienner, 57-77. 
Carey, Sabine C., Mark Gibney and Seven C. Poe 2010: The Politics of Human Rights. The Quest for Dignity, Cambridge, New York: Cambridge University Press. 
Foley, Rebecca 2004: Muslim Women’s Challenge to Islamic Law. The Case of Malaysia, International Feminist Journal of Politics, Vol. 6, No. 1, 53-84. 
Gray, Mark M., Miki Caul Kittilson, and Wayne Sandholtz 2006: Women and Globalization: A Study of 180 Countries, 1975-2000, International Organization, Vol. 60, Spring, 293-333.
Connors, Jane 2010: „The system is in place – now a visionary approach is needed“, Interview with Jane Connors, Chief of Special Procedures Branch at the UN Office of the High Commissioner for Human Rights, Zeitschrift für Menschenrechte/ Journal for Human Rights, Vol. 4, No. 2, 152-162. 
Keefe, Patrick Radden 2012: Reversal of Fortune, in: The New Yorker, January 9, 2012, available at: http://www.newyorker.com/reporting/2012/01/09/120109fa_fact_keefe.
Neumayer, Eric 2005: Do International Human Rights Treaties Improve Respect for Human Rights? Journal of Conflict Resolution, Vol. 49, No. 6, 925-953. 
Sanders, Douglas 2009: Sexual and Gender Diversity, in: Forsythe, David P. (Ed.) Encyclopedia of Human Rights, Oxford, New York: Oxford University Press, 433-445. 
Zwingel, Susanne 2012: Translating International Women’s Rights Norms: The CEDAW Convention in context, in: Caglar, Gülay, Elisabeth Prügl and Susanne Zwingel (eds.), Feminist Strategies in International Governance, New York, London: Routlege, 119-135.